"Die Jugend der Welt trifft sich - die Politik ruht" - Olympia im Wandel der Zeit

Am morgigen Freitag beginnen im russischen Sotschi die 22. Olympischen Winterspiele. Doch von der jahrtausenden alten Ideologie hat sich das größte Sportereignis der Welt schon längst verabschiedet.

 

Von Sebastian Koch

  

Polizisten auf Pferden, Soldaten mit Gewehren im Anschlag und Hubschrauber über den Sportstätten - wenn morgen in Sotschi die Olympischen Winterspiele eröffnet werden, gleicht die Stadt am schwarzen Meer einem militärischen Hochsicherheitstrakt. Kein Wunder, wurde Russland in jüngster Zeit doch gleich zweimal Opfer von Terroranschlägen. Das soll sich bei den Winterspielen, den teuersten aller Zeiten, nicht wiederholen und so lässt sich das russische Regime die Sicherheit der Athleten einiges kosten. Dabei begann doch alles ganz friedlich.

  

Die Politik ruht während den Spielen - eine (scheinbar) längst vergessene Zeit

 

Damals, vor mehr als dreitausend Jahren, wurden in Olympia die ersten Olympischen Spiele der Antike ausgetragen. Völker aus allen Ecken des griechischen Reiches trafen sich für eine knappe Woche und bekämpften sich im sportlichen Rahmen. Nicht selten kam es vor, dass im Faust- oder Ringkampf der Olympiasieger auf dem Weg zu Ruhm und Ansehen Gegner totprügeln musste.

  

Gut möglich also, dass der frühere britische Premier Winston Churchill bei seinem Ausspruch "Sport ist Mord" nicht nur an seine eigene körperliche Verfassung gedacht hatte, sondern auch an frühere "Olympiakämpfer". Das "Töten" gehörte genauso zum sportlichen Wettkampf, wie das Feiern danach und kulturelle Veranstaltungen als würdiger Rahmen des schon damaligen Mega-Ereignisses. Es waren besondere Tage und so lag wohl auch damals schon ein gewisser Olympiaflair in der Luft.

  

Apropos, Churchill. Auch für dessen Vorgänger, sofern es sie zur damaligen Zeit gegeben hätte, waren die olympischen Tage ganz besondere Tage. In dieser Woche wurde nicht nur mitgefiebert, Götter geehrt und Siege(r) gefeiert - in diesen Tagen ruhten auch Kriege und Politik.

 

394 nach Christus verbot der römische Kaiser Theodosius die Spiele und verurteilte dieses als heidnischen Kult. Mit dem Untergang des griechischen Reichs gingen auch die Olympischen Spiele der Antike unter - und mit ihnen der olympische Grundgedanke einer friedlichen Welt während den Spielen.

  

Die unschuldigen Spiele werden beschmutzt

  

Einen festlichen Rahmen verlieh zwar auch Adolf Hitler den Olympischen Spielen 1936 in Berlin und Garmisch-Partenkirchen, doch die "Hitlerspiele" stellen den Beginn einer Wandlung im Olympischen Grundgedanken dar. Die Olympischen Spiele wurden von der Politik eingeholt und von dieser zu ihrem Zwecke instrumentalisiert.

  

Der deutsche Diktator missbrauchte das Ereignis als Propaganda und verschaffte dem Regime durch friedliche und fröhliche Spiele Freunde und Vertrauen innerhalb des Landes und über die Reichsgrenzen hinaus. Da ging es sogar fast unter, dass im Sprinter Jesse Owens mit vier Goldmedaillen ausgerechnet ein schwarzer Sportler die Hitlerspiele so prägte, wie kein anderer Athlet. Hitler verweigerte Owens jegliche Anerkennung.

  

Zwei Fäuste auf dem Siegerpotest - Sportler nutzen Olympia zur Politik

  

"Wenn ich siege, bin ich Amerikaner, kein schwarzer Amerikaner. Aber wenn ich etwas Schlechtes mache, sagen sie, ich sei ein Neger.", fasste Olympiasieger Tommie Smith seine Situation, so traurig es klingt, wohl treffend zusammen: "Wir sind schwarz und wir sind stolz darauf. Das schwarze Amerika versteht, was wir heute gemacht haben."

  

Zuvor hatte jener Smith die olympische Bühne bei den Sommerspielen 1968 in Mexiko-City in einer bis heute von Sportlern einmaligen "Brutalität missbraucht" und auf die anhaltende Diskriminierung von schwarzen Menschen in den USA hingewiesen. Mit ihm hob auch der farbige John Carlos, Dritter bei Smiths Olympiasieg über 200 Meter, während der Nationalhymne eine Faust gen Himmel - das Zeichen für die "Black-Power"-Bewegung in der USA.

 

Smith und Carlos mussten auf Druck des Internationalen Olympischen Kommitees (IOC) das olympische Dorf umgehend verlassen. Für das IOC stellte der Protest ein "willentlicher und gewaltsamer Bruch der fundamentalen Prinzipien der olympischen Idee" dar. Beide Sportler  wurden für ihre Aktion vor allem in den USA zunächst scharf kritisiert und angefeindet. Sowohl das IOC als auch amerikanische Medien distanzierten sich in den folgenden Jahrzehnten von ihren damaligen Haltungen.

 

Tod und Terror in München - die schwärzesten Spiele aller Zeiten und die Nachwirkung der Hitlerspiele

 

Wenn man den politischen Weg der Olympischen Spiele verfolgt, so kommt man auch am "Olympiamord" 1972 in München nicht vorbei. Die ersten Olympischen Spiele in Deutschland nach den Hitlerspielen sollten das deutsche Bild in der Welt auch in olympischer Sicht wieder gerade rücken. Unbewaffnete Polizisten verteilten Blumen, von Waffengewalt oder Instrumentalisierung sollte nichts zu sehen sein - die Welt war zu Gast bei Freunden.

 

In einer Zeit, in der in Deutschland die Rote Armee Fraktion (RAF) Angst und Schrecken verbreitete und der Nahostkonflikt mal wieder anschwoll, eine fatale Situation, die von deutschen Sicherheitskräften in der Form nicht wahrgenommen wurde.

 

Am 5. September besetzten acht Mitglieder der Terrorgruppe "Schwarzer September" das unbewachte israelische Haus und nahmen elf israelische Sportler als Geiseln. Bei einem Fluchtversuch wurde einer der elf bereits am Morgen erschossen. Die palästinensische Terrorgruppe forderte die umgehende Freilassung von über 200 in Israel inhaftierten Landsleuten, sowie die Befreiung der RAF-Führer Andreas Baader und Ulrike Meinhof.

  

Das deutsche Krisenmanagement wurde von einer solchen Entwicklung völlig überrumpelt, Auch das IOC wusste nicht mit der Situation umzugehen und so wurden die Wettkämpfe zunächst noch nicht einmal unterbrochen. In einem Nervenkrieg verstrichen mehrere Ultimaten der Terroristen, ehe das IOC die Spiele am Nachmittag dann doch zumindest vorläufig aussetzte.

  

Gegen Abend wurden die Geiselnehmer und die israelischen Sportler aus München ausgeflogen und sollten vom Militärflughafen Fürstenfeldbruck mit freiem Geleit in die arabische Welt gebracht werden. Am Militärflughafen, so der Plan, sollten die Terroristen überwältigt und die noch verbliebenen Sportler befreit werden. Mangelnde Ausbildung, schlechte Kommunikation und Funktechnik ließen die Sitaution völlig aus dem Ruder laufen. In Folge eines fast zweistündigen andauernden Schusswechsels brachten die Terroristen einen Hubschrauber mit den Geiseln zum Explodieren.

 

Die Geiselnahme von München forderte das Leben von elf israelischen Sportlern, das von fünf Terroristen, sowie das von einem Polizisten. Die Spiele wurden nach einem Trauertag regulär fortgesetzt - jedoch ohne so manchen Sportler, der aus Protest seinen Start boykottierte.

  

Ist dabeisein wirklich alles? - die halbe Welt boykottiert Olympia

  

Auch die ersten drei Spielen nach dem Olympiamord waren Opfer der politischen Verhältnisse. 1976 boykottierten 16 afrikanische Länder die Spiele in Montreal, weil das ebenfalls teilnehmende Neuseeland zuvor den Sportbann gegen Südafrika gebrochen hatte und gegen den Apartheid-Staat ein Rugby-Spiel ausgetragen hatte.

  

Bereits 1956 wurden die Spiele in Melbourne von mehreren europäischen Ländern aus Protest gegen die Einmischung der teilnehmenden Sowjetunion in den Ungarn-Aufstand boykottiert. Auch arabische Länder blieben den Spielen wegen der Suez-Krise fern.

  

1980 boykottierte fast die komplette westliche Welt die Olympischen Spiele in Moskau. In der bipolaren Welt der beiden Supermächte USA und Sowjetunion wollten die Länder auf die Missstände im Sowjetblock aufmerksam machen. Besonders die Verletzung der Menschenrechte und Verfolgung politischer Gegner waren Gründe für den Boykott von Nationen wie der USA, Kanada oder Westdeutschland.

 

Die Ostblockstaaten "revanchierten" sich vier Jahre später und blieben den Spielen 1984 in Los Angeles ebenfalls fern.

 

Die heutige Situation - kleine Gesten und große Menschenrechtsverletzungen

  

30 Jahre nach den letzten Boykottspielen ist die politische Situation um Olympia keinesfalls verbessert. Ganz im Gegenteil: Die Spiele sind in ihrer politischen Brisanz nicht minder bedeutend - einzig die Mittel sind weniger drastisch.

  

Boykotten werden heute diplomatische Mittel vorgezogen. Ob das hilft, darf angezweifelt werden. Das IOC hat es sich in letzter Zeit jedenfalls regelmäßig zur Aufgabe gemacht, Spiele an Nationen zu vergeben, deren Politik mehr als umstritten ist. Bereits bei den Olympischen Spielen in Peking 2008 war von den massiven Menschenrechtsverletzungen im Reich der Mitte die Rede. Wen verwundert es da, dass dem Regime die Spiele als Gelegenheit gerade Recht kamen, um die politische Situation zu entschärfen.

  

Man möchte den Vergleich zu Adolf Hitler ungern ziehen, doch das chinesische Regime verstand es ebenfalls, in einem diktatorisch regierten Land Spiele auszurichten, die die Welt begeisterten und zumindest für kurze Zeit von den Missständen abzulenken wussten. Die Hoffnung des IOCs, die Situation für politisch unterdrückte Chinesen zu verbessern, ging vollends auf - für die Zeit der Spiele. Nicht mehr und nicht weniger.

 

In Peking sorgten derweil auch zwei Luftpistolenschützinnen für Aufsehen. Während sich fernab der heilen Olympiawelt Russland und Georgien militärisch auseinandersetzten, feierten die russische Silbermedaillengewinnerin Natalia Paderina und die georgische Bronzegewinnerin Nino Salukwadse ihren Erfolg gemeinsam auf dem Siegerpodest.

  

In jenem Russland starten morgen die teuersten Winterspiele aller Zeiten. Man möchte fast schon fragen, was Olympia ohne Politik wäre. Ja, sogar von den Putinspielen ist die Rede - auch hier fällt ein Vergleich zu den Hitlerspielen nicht schwer. Homosexuelle werden verfolgt, politische Gegner inhaftiert, Proteste niedergeschlagen.

 

Immerhin: Im Schatten der Olympischen Spiele ließ sich Präsident Wladimir Putin dazu "überreden", politisch inhaftierte Gefangene freizulassen - darunter die Punk-Band Pussy Riot und Kreml-Kritiker Mihail Chodorkowski. Die Annahme der Propaganda liegt auch hier nahe und die Frage ist wie so oft - was passiert nach den Spielen? Eine Frage, die auch über die Staatsgrenze hinaus hohe Bedeutung hat, wenn man beispielsweise die Sitution in der Ukraine betrachtet.

  

Die ukrainischen Aufständigen dürfen im Schatten Olympias weiter demonstrieren - was geschieht, wenn Olympia vorbei ist und das russische Regime keine Sanktionen in Bezug auf das Prestigeprojekt mehr fürchten muss, ist fraglich. Die Aussichten für das protestierende ukrainische Volk sind nicht gerade rosig. Ihre Schonfrist geht wohl noch 14 Tage.

 

„Die Jugend trifft sich und die Politik ruht" - es war einmal...

 

Dass Angela Merkel und Joachim Gauck den Spielen fernbleiben, ist eine logische Folge der olympischen Entwicklung. Es mag sein, dass sich der ein oder andere Sportler dadurch in seiner Anerkennung herabgesetzt fühlt - mit durchaus berechtigten Argumenten. Jedoch muss man sich auch fragen, ob ein Bundeskanzler und ein Bundespräsident dazu gezwungen werden sollten, einer umstrittenen Sportveranstaltung beizuwohnen und zur Propaganda eines der schlimmsten Diktatoren der Welt instrumentalisiert zu werden. Nein, das darf nicht geschehen. Den Spielen, dem Prestigeprojekt von Wladimir Putin, muss und darf man nicht mehr (positive) politische Aufmerksamkeit schenken als nötig.

  

Das gilt für die politische Seite - auf der sportlichen Seite muss man jeden Athlet unterstützen und so ist es uns eine Freude, in den nächsten zwei Wochen auch über die sportliche Seite von Sotschi 2014 zu berichten.

 

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