"Zwanziger bewegt nicht nur das Interesse an der Wahrheit"

In der Krise um die Vergabe der WM 2006 gibt es noch viele offene Fragen. Auch für Anno Hecker, dem Sportchef der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Gegenüber Spiel, Satz und Tor bekräftigt er die Rücktrittsforderung an Wolfgang Niersbach und hegt zumindest Zweifel an den wahren Motiven von Theo Zwanziger. Von Sebastian Koch und Markus Schulze

Spiel, Satz und Tor: Herr Hecker, wie ist es in diesen Tagen um den deutschen Sport bestellt?


Anno Hecker (51): Es ist schwer zu prognostizieren, welche Auswirkung die Krise beim Deutschen Fußball-Bund auf auf den gesamten deutschen Sport haben wird. In der Vergangenheit war es schon so, dass die Skandale im Fußball Einfluss auf die Frage hatten, ob es bei der Vergabe von anderen großen Sportereignissen nicht genauso abläuft wie im Fußball. Die Verantwortlichen vom IOC (Internationales Olympisches Komitee/Anm. d. Red.) haben nach ihrem Korruptionsskandal um die Winterspiele von Salt Lake City 2002 reagiert. Das IOC funktioniert mittlerweile anders. Dort wählt nicht das Exekutivkomitee wie bei der Fifa einen Ausrichter, sondern die Mitgliederversammlung. Das sind mehr als 100 Menschen, nicht nur 24. Bestechung fällt in diesem Rahmen schwerer. Bei der Ablehnung von München als Kandidat für die Winterspiele 2022 durch bayerische Bürger Ende 2013 spielten die Bestechungsgeschichten rund um die Fifa auch eine Rolle. Insofern ist damit zu rechnen, dass das Referendum in Hamburg für die Bewerbung um die Sommerspiele 2024 beeinflusst wird. Ganz zu schweigen von der Fußball-EM 2024, die den Deutschen ja schon so gut wie sicher schien.

 

SSUT: Können Sie unseren Lesern den aktuellen DFB-Konflikt noch einmal skizzieren. Was ist vorgefallen und wo liegt die Brisanz?


A.H.: Wir wissen nicht präzise, was passiert ist. Genau darin liegt das Problem. Die DFB-Verantwortlichen mussten zugeben, dass sie im Jahr 2005 6,7 Millionen Euro an die Fifa gezahlt haben – und zwar legendiert. Die Zahlung wurde als ein Zuschuss für ein Kulturprogramm der Fifa während der WM 2006 deklariert. Zum Zeitpunkt der Überweisung hat man aber schon gewusst, dass diese 6,7 Millionen Euro für etwas anderes gebraucht werden. Nach Darstellung des DFB-Präsidenten Wolfgang Niersbach sollte damit ein Darlehn des damaligen Adidas-Vorstands Robert Louis-Dreyfus zurückgezahlt werden, via Fifa. Das, sagt Niersbach, habe ihm Franz Beckenbauer, damals Präsident des Organisationskomitees so geschildert. Wir wissen nicht, ob das stimmt. Was wir aber definitiv wissen ist dies: Der DFB hat sich an einem korrupten Verhalten beteiligt. Das ist unabhängig von der Frage, ob Beckenbauers Erklärung via Niersbach korrekt ist. Demnach soll der inzwischen suspendierte Fifa-Präsident Sepp Blatter dem DFB bei einem Vier-Augen-Gesprächen mit Beckenbauer einen Zuschuss für die WM in Höhe von 170 Millionen Euro versprochen haben, vorausgesetzt, das Organisationskomitee (OK) überweist zuerst zehn Millionen Schweizer Franken an die Fifa. So ist die Darstellung von Beckenbauer, die uns Niersbach am Donnerstag der vergangenen Woche geliefert hat, ohne sie dabei in den Konjunktiv gesetzt zu haben. Er hat sich die Geschichte von Beckenbauer offensichtlich erzählen lassen und tut so, als sei das die einzig wahre Version. Das muss man zumindest in Frage stellen. Die Vermutung des Spiegel ist, dass das Geld schon vor 2002 verwendet wurde, um Stimmen für die WM-Vergabe zu kaufen. Aber auch das ist nicht bewiesen.



SSUT: Kommen wir auf die angesprochene PK von Niersbach in der vergangenen Woche zu sprechen. Vom DFB relativ spontan einberufen, hat sie für viel Verwunderung und Diskussionen gesorgt. Sie selbst waren bei der PK vor Ort. Hat sie Niersbach geholfen?

 

A.H.: Mit Blick auf sein Amt sicher nicht. Der DFB-Präsident ist der höchste Repräsentant des Deutschen Fußball-Bundes, des größten nationalen Sportverbandes der Welt. Niersbach hat die Version von Beckenbauer, ohne sie in irgendeiner Art und Weise in Zweifel zu ziehen, in der Öffentlichkeit zum Besten gegeben. Dabei gibt es zu dieser Geschichte so unheimlich viele Nachfragen, die teilweise auch Niersbach persönlich betreffen. Wann hat er von den 6,7 Millionen Euro erfahren? Er sagt zwar, er habe davon erst im Sommer 2015 erfahren, laut Theo Zwanziger, dem früheren DFB-Präsidenten, hatte Niersbach aber schon seit 2002 davon Kenntnis, als im OK die Überweisung besprochen worden sein soll. Außerdem war die Zahlung laut Beckenbauer eine Rückzahlung. Als man von der Fifa damals aufgefordert wurde, das Geld zu zahlen, ist Louis-Dreyfus eingesprungen. Warum wählte man diesen Weg? Warum hatte das OK nicht die Möglichkeit, zu einer Bank zu gehen? Jede Bank hätte dem OK bei den Aussichten, die eine WM bringen, Geld geliehen. Vielleicht sogar zu besseren finanziellen Konditionen. Auch das ist eine Ungereimtheit, die Niersbach nicht beantworten konnte. Um Ihre ursprüngliche Frage aber zu beantworten: Niersbach steht nach der PK keinen Deut besser da. Im Gegenteil. Es gibt noch viel mehr offene Fragen.

 

SSUT: Niersbach hat bei der PK größtenteils überfordert, hilflos und schlecht vorbereitet gewirkt. Es ist ein fast schon bemitleidenswerter Eindruck entstanden. Warum hat er die PK überhaupt einberufen?

 

A.H.: Das müssen Sie den DFB-Präsidenten und seine Berater fragen. Es kann durchaus der Eindruck entstehen, dass der DFB getrieben war. Es könnte so gewesen sein, dass der Spiegel vor seiner zweiten Veröffentlichung am Samstag vor einer Woche den DFB unter der Woche wieder Fragen gestellt hat und der Verband deshalb in die Offensive gehen wollte. Darauf deutet die Kurzfristigkeit hin, mit der die PK einberufen wurde. Auf jeden Fall muss der DFB derart die Kontrolle verloren haben, dass sich eine PK als scheinbar einzig verbliebener Ausweg anbot.


Zur Person:

 

Anno Hecker wurde am 2. August 1964 in Köln geboren. Im Mai 1991 kam Hecker ins Sportressort der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, das er seit Juli 2012 leitet. Der Rheinländer berichtet vor allem über Sportpolitik, Doping, Formel 1 und Basketball.

 

Bild: faz.net


"Niersbach hat keine realistische Chance mehr"

SSUT: In der vergangenen F.A.S.-Ausgabe (25. Oktober) stellen Sie mit Ihren Kollegen Christoph Becker und Michael Ashelm die Forderung, Niersbach müsse zurücktreten. Gäbe es denn auch noch irgendeine Wendung, bei der er im Amt bleiben könnte?

 

A.H.: Das haben wir nicht zu entscheiden. Niersbach ist ein mit großer Mehrheit und demokratisch gewählter Präsident, der nur vom Verband gestürzt werden kann oder selbst zurücktreten muss. In der Sonntagszeitung haben wir lediglich dargestellt, warum der Präsident nicht mehr handlungsfähig ist und es deshalb für den Verband besser wäre, wenn er zurücktreten würde. Es geht dabei gar nicht um die Frage, ob die WM 2006 gekauft wurde oder nicht. Es geht darum, wie sich Niersbach in den vergangenen Wochen verhalten hat, um Presseerklärungen die einen falschen Eindruck von seinem Aufklärungsbemühungen im DFB suggerierten und um die Desinformation im Verband. Das Präsidium wurde solange nicht über eine angeblich interne Untersuchung informiert, bis die Spiegel-Veröffentlichung keine Wahl mehr ließ. Es geht schließlich auch um die Frage, ob Niersbach, den Zwanziger als Lügner bezeichnet, der Autor eines handschriftlichen Vermerks auf einem Dokument von 2005 ist, in dem von der Überweisung der 6,7 Millionen Euro die Rede ist. Der Spiegel behauptet, es zu besitzen, rückt aber nicht damit raus. In dieser Lage ist die DFB-Führung national wie international handlungsunfähig, wenn Sie an die Reform des Weltfußballs und an die EM 2024 denken. Insofern sehe ich für Niersbach im Moment keine Chance, im Amt zu überleben. Es sei denn, es käme jetzt jemand, der beweisen würde, dass es für all das, was der DFB schon zugegeben hat, eine logische und saubere Erklärung gäbe. Aber diesen Ausweg hat der Verband mit seinen Teilgeständnissen ja eigentlich auch schon versperrt. Immer vorausgesetzt, diese Teilgeständnisse entsprechen der Wahrheit.


SSUT: Theo Zwanziger war ab dem 9. Juli 2004 geschäftsführender DFB-Präsident. Zuvor war er seit 2003 Vizepräsident für Finanzen im WM-OK. Nun bringt er mit seinen Aussagen über jenes OK womöglich einen der größten Skandale in der deutschen Sportgeschichte an die Öffentlichkeit. Welche Motive verfolgt er bei seinen Veröffentlichungen?


A.H.: Zwanziger behauptet, er wolle die Wahrheit ans Licht bringen. Das ist natürlich ehrenwert. Man muss ihm zu Gute halten, dass der DFB in den vergangen Tagen schon einige Dinge zugeben musste, die krumm gelaufen sind. Ebenso muss man aber wissen, dass auch Zwanziger die Überweisung an die Fifa damals unterschrieben hat. Auch da ist noch zu klären, was er selbst über die letztendliche Verwendung der Millionen tatsächlich gewusst hat. Er sagt, er habe damals an die Version des Kulturprogrammes geglaubt. Dann stellt sich aber die Frage, weshalb er bei der Abschlussrechnung nicht festgestellt hat, dass das Geld nicht zurückgeflossen ist. Das hätte es müssen, denn das geplante Kulturprogramm während der WM ist ja ausgefallen. Zwanziger sagt dazu, er habe das OK immer wieder auf die Zahlung angesprochen. Wir wissen eben nicht ganz sicher, was er wirklich gewusst oder nicht gewusst hat. Wir wissen aber sehr wohl, dass Zwanziger mit Niersbach seit Jahren eine Fehde führt. Zwanziger ist mit der Amtsführung seines Nachfolgers nicht einverstanden und hält seine Bezahlung für unrechtmäßig. Auch bei ihren Haltungen zur Fifa liegen beide weit auseinander. Ich habe den Eindruck, dass er Niersbach auch stürzen sehen will. Ob das die eigentliche Motivation ist, und alle anderen Sachen nur diesem Zweck dienen sollen, vermag ich nicht zu beurteilen. Aber es ist sicherlich nicht so, dass Zwanziger alleine das Interesse an der Wahrheit bewegt.

Ein Bild aus vergangenen Tagen: Das Verhältnis zwischen DFB-Präsident Wolfgang Niersbach (links) und seinem Vorgänger, Theo Zwanziger, gilt mittlerweile als zerrüttet und zerstört.

"Es geht nicht um strafrechtliche Konsequenzen"

SSUT: „Beckenbauer ist nach wie vor eine Lichtgestalt im deutschen Fußball. Eine Lichtgestalt mit Schatten“, sagte Zwanziger am vergangenen Sonntag in einem Interview mit Spiegel TV. Wie hell strahlt Beckenbauer noch und wie groß ist mittlerweile sein Schatten?

 

A.H.: Was ist denn das für eine Formulierung von Zwanziger? Vermutlich wollte er sagen, dass Beckenbauer in Deutschland nicht mehr unangreifbar erscheint. Dem ist definitiv so. Auch unsere Redaktion hätte viele Fragen an Beckenbauer. Warum stellt er sich diesen nicht? Wir haben eine wunderbare WM erlebt, an deren gesellschaftlicher Wirkung niemand zweifelt. Aber genauso wie wir dieses Turnier genossen haben, haben wir auch ein Recht darauf zu erfahren, wie es zustande gekommen ist. Deshalb ist es seine Pflicht, sich der Öffentlichkeit zu stellen – und das nicht nur über Rechtsanwälte.

 

SSUT: Welche strafrechtliche Brisanz birgt der Fall noch?

 

A.H.: Ich selbst bin kein Jurist, aber wir haben mit Christoph Becker einen Volljuristen in der Sportredaktion. Er ist der Meinung, dass die Verjährung wohl eingesetzt hat. Das „wohl“ bezieht sich auf die unterschiedlichen Betrachtungsmöglichkeiten. Man kann zum Beispiel den Zeitpunkt der möglichen Straftat nicht ganz genau festlegen. Wir wissen, dass sich die Frankfurter Staatsanwaltschaft die Vorgänge anschaut, haben aber eben Zweifel daran, dass es tatsächlich zu Ermittlungen kommen wird. Aber es gibt interessante Fragen: Die Millionen haben ja nicht etwa einer Privatperson gehört, sondern dem OK und damit dem DFB. Sie sollten dem Fußball in Deutschland zur Verfügung gestellt werden. Ist also jemand für den Verlust haftbar zu machen? Kann man Nachforderungen stellen?

Wenig redselig: Auch der ehemalige Chef des Organisationskomitees, Franz Beckenbauer, blieb in der Öffentlichkeit zuletzt einige Antworten schuldig und vermied öffentliche Auftritte wie hier auf dem Foto.

"Wenn es Sexwale nicht gelingt, dann niemandem"

SSUT: Niersbach sitzt auch im Fifa-Exekutivkomitee, wurde jüngst des Öfteren als kommender Uefa- oder gar als Fifa-Präsident gehandelt. Nun droht ihm im schlimmsten Fall eine Sperre. Was hätte das für Konsequenzen für den DFB?

 

A.H.: Wenn Niersbach von der Fifa gesperrt würde, könnte er nicht DFB-Chef bleiben. Wie sollte er dann einen Verband führen. Aber ob das so kommt? Die Ethikkommission der Fifa schaut sich alles an, was so aus Deutschland zu hören und zu lesen ist. Aber ob sie eine Ermittlung einleitet und zu einem Urteil kommt? Keine Ahnung. Ich vermute, mancher Fußball-Funktionär von Rang in Deutschland wartet auf so ein Urteil, um dann losschlagen zu können. Dabei laufen sich die Kandidaten für die Nachfolge längst warm.


SSUT: Am 26. Februar wird ein neuer Fifa-Präsident gewählt. In der vergangenen Montagnacht endete die Bewerbungsphase. Wer hat Ihrer Meinung nach aktuell die besten Chancen und welche Reformen kann derjenige bewirken?


A.H.: Der Südafrikaner Tokyo Sexwale wird wohl ein Favorit sein. Er gilt als einigermaßen integer und kommt nicht direkt aus dem Fußball, was im Moment für ihn spricht. Wenn es ihm nicht gelingt, die nötigen Reformen bei der Fifa durchzusetzen, wird es so schnell keinem gelingen. Interessant ist aber auch, dass die Uefa noch Gianni Infantino nominiert hat. Damit hat sie ihrem Präsidenten, Michel Platini, einen zweiten Mann zur Seite gestellt, falls der suspendierte Franzose doch nicht zugelassen wird zur Wahl.


SSUT: Zum Abschluss stellen wir immer gerne noch eine Zukunftsfrage. Wo stehen Fifa und DFB in einem Jahr?

 

A.H.: Ich bin kein Hellseher, vermute aber, dass beide Verbände dann von anderen Präsidenten geführt werden.

 

SSUT: Herr Hecker, wir bedanken uns für die Zeit, die Sie sich genommen haben.

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