"Der Aufsichtsrat des HSV gibt ein erbärmliches Bild ab"

"Spiel, Satz und Tor" hat sich mit Sky-Fieldreporter Rolf "Rollo" Fuhrmann über die Krise beim Hamburger SV, die Champions League und die Weltmeisterschaft unterhalten. Dabei bekannte der Norddeutsche zu allen Themen Farbe und sprach unter anderem dem Aufsichtsrat des HSV jegliche Kompetenz ab.

 

 

(ms/seko). Spiel, Satz und Tor: In den letzten beiden Tagen wurden die ersten beiden Champions League-Achtelfinals mit deutscher Beteiligung absolviert. Wie fällt Ihr Fazit bezüglich Bayern und Leverkusen aus?

 

Rolf „Rollo“ Fuhrmann (64): Bayer Leverkusen hat mich am Dienstag bitter enttäuscht. Da kam ja gar nichts. Mir ist völlig unerklärlich, wie eine Mannschaft als Tabellenzweiter der Bundesliga mit so viel Respekt und so viel Angst in ein Achtelfinalhinspiel gehen kann. Die Leistung, die zum Beispiel ein Nationalspieler Simon Rolfes abgeliefert hat, war inakzeptabel und deprimierend. Wir sind das von Leverkusen auf internationaler Ebene leider schon gewohnt. Dass es aber so schlimm wird, hätte ich nicht gedacht.

Die Bayern wurden gestern in der ersten Halbzeit endlich einmal richtig gefordert. Ich möchte nicht wissen, wie das Spiel ausgegangen wäre, wenn Manuel Neuer in den ersten zehn Minuten den Elfmeter und die Chance davor nicht gehalten hätte. Dann hatten sie das Glück, dass die FIFA die Doppelbestrafung noch nicht abgeschafft hat. Ich finde es zu hart, in einer Szene Elfmeter und eine rote Karte zu geben. Da meine ich, ein Strafstoß mit einer gelben Karte hätte gereicht. Leider spricht da das Regelwerk eine andere Sprache. So haben die Bayern jetzt alles in der eigenen Hand und werden im Rückspiel problemlos weiterkommen.

 

SSUT: Sie haben nach dem Bayern-Sieg auf Twitter von „schottischen Verhältnissen in der Champions League“ gesprochen. Sehen Sie das wirklich so und ist Bayern auch international zurzeit konkurrenzlos?

 

R.F.: Das war natürlich überspitzt dargestellt (lacht) und zielte ein bisschen auf die Diskussion ab, die wir in der Bundesliga führen. National haben wir wirklich schottische Verhältnisse. Das kann man einfach nicht bestreiten.

In der Champions League ist das nicht so extrem. Da spielen der FC Barcelona, die beiden Vereine aus Madrid und vielleicht auch wieder Chelsea London eine gute Rolle. Aber es ist erstaunlich, welchen Weg die Bayern in den letzten Jahren gegangen sind und wie die Mannschaft inzwischen auch international auftritt.

 

SSUT: Schalke 04 trifft in der nächsten Wochen auf Real Madrid und Borussia Dortmund bekommt es mit Zenit St. Petersburg zu tun, die traditionell unangenehm zu spielen sind. Wie sehen Sie die Chancen der beiden deutschen Teams in diesen Duellen?

 

R.F.: Ich bin überzeugt davon, dass es Borussia Dortmund ins Viertelfinale schaffen wird. Nicht zuletzt auch deshalb, weil sie das Rückspiel zu Hause bestreiten dürfen. Außerdem ist die Mannschaft in zwei Spielen qualitativ einfach stärker als St. Petersburg.

Bei Schalke sieht das etwas anders aus. Ich würde mir natürlich wünschen, dass das Team den Formanstieg aus der Bundesliga auch in die Königsklasse mitnehmen kann. Real Madrid ist natürlich ein harter Brocken. Wenn Schalke aber mutig nach vorne spielt und sich nicht so den Schneid abkaufen lässt wie Leverkusen, haben auch sie Chancen. Sie müssen gerade zu Hause mutig auftreten und dürfen nicht, wie Leverkusen, den „Schwanz einziehen“.

 

SSUT: Gehen wir weg von der Champions League und kommen auf den Abstiegskampf in der Bundesliga zu sprechen. Da taumeln mit dem VfB Stuttgart, Werder Bremen und dem Hamburger SV gleich drei (ehemalige) Schwergewichte durch die untere Tabellenregion. Was ist los mit den einstigen Größen der Bundesliga? Wie konnte es soweit kommen?

 

R.F.: Gute Frage (lacht). Am meisten erstaunt mich, dass Stuttgart so weit unten steht. Die haben eine gute Mannschaft und einen guten, jungen Trainer. Die werden auch bald wieder gewinnen und da unten rauskommen.

Mehr Sorgen mache ich mir um Bremen. Werder hat es noch nicht geschafft, die Fehler von Klaus Allofs und Thomas Schaaf aus den letzten Jahren zu korrigieren. Die sportliche Krise liegt nicht allein an Thomas Eichin und Robin Dutt. Da wirken noch viele Fehler ihrer Vorgänger, besonders in der Transferpolitik, nach. Der Verein hat den großen Vorteil, dass die Fans zur Mannschaft stehen. Die zeigen große Moral und unterstützen die Mannschaft, wo sie nur können.

Auch Hamburg hat großartige Fans. Allerdings haben die die Mannschaft in den letzten Monaten schon das eine oder andere Mal im Stich gelassen. In Hamburg ist die Erwartungshaltung eben traditionell sehr groß. Mirko Slomka ist jetzt der neue Hoffnungsträger. Das Spiel gegen Dortmund am Wochenende ist noch kein Gradmesser, aber spätestens eine Woche später wird in Bremen ein Sieg erwartet. Wenn das nicht geschieht, wird es wieder unruhig werden.

Dazu kommt, dass der Kader vom HSV grundsätzlich überschätzt wird. Zumindest dann, wenn es darum geht, die eigenen Ansprüche zu erfüllen. Der Kader ist für das Erreichen der internationalen Plätze einfach zu schlecht. Wenn man den Kader von heute mit dem aus den Jahren 2006 bis 2009 vergleicht, fehlt es an Qualität. Als Norddeutscher drücke ich Bremen und Hamburg aber natürlich trotzdem die Daumen und hoffe, dass es Slomka in Hamburg in irgendeiner Form noch schafft, das Ruder rumzureißen.

Ich drücke aber auch Braunschweig die Daumen. Die haben sich nicht hängenlassen und es tatsächlich geschafft, den Anschluss wiederherzustellen. Das wird im Abstiegskampf ein ganz heißes Rennen.

 

SSUT: Da haben Sie Recht. Es ist unten deutlich spannender als oben (lacht). Trauen Sie persönlich Mirko Slomka die Rettung Hamburgs denn zu?

 

R.F.: Die traue ich ihm qualitativ absolut zu! Slomka hat sehr gute Arbeit auf Schalke und Hannover geleistet. Allerdings weiß ich nicht, ob Zeit und Kader ausreichen. Slomka hat eben keine Möglichkeiten mehr, den Kader zu verändern und entsprechend zu verbessern. Jetzt werden die letzten Kräfte mobilisiert und aussortierte Spieler rücken sogar wieder in den Kader. Als Trainer hat er die Qualität. Ob die allein letztendlich aber ausreichen wird, da bin ich mir nicht sicher.

 

SSUT: In der Redaktion haben wir die Frage natürlich auch schon diskutiert. Mein Kollege Sebastian Koch, mit dem Sie getwittert haben, sagte, Slomka sei ein ähnlicher Typ wie van Marwijk und für den Hamburger SV zu brav und zu nett. Sehen Sie das auch so und wäre nicht ein Trainer angebracht, der mal dazwischenhaut?

 

R.F.: Slomka ist unbestritten ein „Gentleman-Typ“ und medial auch top. In dem Sinn hat er viel mit van Marwijk gemeinsam und Ihr Kollege hat mit der Einschätzung Recht. Ich denke aber, dass er trotzdem viel mehr dazwischenhauen wird als sein Vorgänger. Van Marwijk war die letzten Spiele ja fast teilnahmslos und hatte, so mein Eindruck, auch schon aufgegeben. Das wird Slomka nicht machen. Der weiß, was er will, und hat sich bei Hannover auch des Öfteren mit Jörg Schmadtke ordentlich gezofft. Er ist ein Gentleman, er ist medial top, aber er ist kein Weichei und wird die richtigen Worte finden.

 

SSUT: Lange Zeit war auch Felix Magath für die van-Marwijk-Nachfolge im Gespräch. Wie haben Sie die Nachricht aufgenommen, dass er abgesagt hat und wie überrascht waren Sie, als Magath einen Tag später beim FC Fulham anheuerte?

 

R.F.: Nicht wirklich. Ich fand, dass das ein ganz normaler Vorgang gewesen ist und habe das in der Form auch schon über Twitter gesagt. Er ist eben mehrgleisig gefahren. Das machen Vereine und Spieler ja aber auch. Außerdem hat Magath auch deutlich gesagt, was ihn zu dieser Absage geführt hat. Er hat sich darüber geärgert, dass sich der Verein in der Führung nicht einig war und dass ihn einige nicht wollten. Man muss es ja mal deutlich sagen: Was sich der Hamburger SV gerade in den letzten Monaten im Aufsichtsrat geleistet hat, geht auf keine Kuhhaut.

Insofern sehe ich die „Causa Magath“ völlig emotionslos und möchte das auch gar nicht weiter bewerten. Und schon gar nicht kritisieren. Er wollte einen Job, den hat er jetzt. Und die Aufgabe in Fulham ist nicht wesentlich leichter als die in Hamburg.

 

SSUT: Da sind Sie dann also anderer Meinung als Lothar Matthäus und Uli Stein, die das Verhalten Magaths bei Sky zuletzt stark kritisiert hatten?!

 

R.F.: Die Kritik fand ich einfach nicht angebracht und nicht gerechtfertigt. Man muss auch sehen, dass Magath bei seinen letzten beiden Stationen auf Schalke und in Wolfsburg keine wirklich gute Figur abgegeben hat. Magath will die Alleinherrschaft und ich kann verstehen, wenn das ein Verein nicht mitmachen will. Ich stehe da auch nicht drauf und fand die mögliche Lösung, Magath nach Hamburg zu holen, nie wirklich prickelnd. Ihm aber jetzt vorzuwerfen, er hätte den HSV an der Nase herumgeführt, halte ich für Quatsch. Spieler wechseln ja auch den Verein und halten sich in Verhandlungen mehrere Optionen offen.

 

SSUT: Neben dem sportlichen Niedergang gibt es beim HSV seit Jahren auch personelle Querelen in der Führungsetage. Was war Ihrer Meinung nach der größte Fehler des Vereins in den letzten Jahren?

 

R.F.: Das fing im November 1996 damit an, dass Dagmar Berghoff in den Aufsichtsrat gewählt wurde. Seitdem sind im Aufsichtsrat Kompetenzlosigkeit und Konzeptlosigkeit die vorherrschenden Attribute. Außerdem ist die Größe des Aufsichtsrats verheerend. Da kocht jeder sein eigenes Süppchen, Maulwurfaktionengestartet, Intrigen geschürt und Eitelkeiten gepflegt. Das hat rein gar nichts mit einem seriösen Unternehmen zu tun. Der Aufsichtsrat vom Hamburger SV gibt seit knapp 20 Jahren ein erbärmliches Bild ab und das wirkt sich auf den ganzen Verein aus.

 

SSUT: Wenn man den Kader der Hamburger betrachtet, ist da ja durchaus „namentliche“ Qualität vorhanden. Sie hatten vorhin gesagt, für internationale Plätze reicht die Qualität nicht aus…

 

R.F.: Nein, das tut sie definitiv nicht.

 

SSUT: Reicht die Qualität denn für den Klassenerhalt aus?

 

R.F.: Vor der Saison hätte ich gesagt, dass sie auf jeden Fall ausreicht. Weil jetzt aber Leistungsträger wie Rafael van der Vaart, René Adler, Marcell Jansen oder auch Heiko Westermann so schwächeln, habe ich mittlerweile große Zweifel daran.

 

SSUT: Würden Sie als St. Pauli-Mitglied ein Relegationsspiel gegen den großen Stadtrivalen gerne sehen? Das hätte doch seinen Reiz, oder nicht?

 

R.F.: Das mag sein, dass das für viele einen Reiz hätte. Ich fände das gar nicht gut.

 

SSUT: Warum nicht?

 

R.F.: Weil ich dem ich dem HSV wünsche, dass der Klassenerhalt geschafft wird. Und beim FC St. Pauli muss ich trotz Mitgliedschaft sagen, dass die Leistungen für die erste Liga nicht reichen werden. Der Verein würde in der Bundesliga wieder große Schwierigkeiten bekommen und die Relegation auch gar nicht erreichen. Allein deshalb schließe ich aus, dass es ein solches Relegationsspiel geben wird.

 

SSUT: Am 1. März treffen die beiden Krisenklubs Hamburg und Bremen im Nordderby aufeinander. Vor ein paar Jahren war das noch ein Europapokalhalbfinale, jetzt ist es ein Abstiegsknaller. Was erwarten Sie von dem Spiel und wer gewinnt es?

 

R.F.: Um das prognostizieren zu können, sollte man erst einmal das Wochenende abwarten und schauen, wie sich der HSV mit neuem Trainer gegen Dortmund schlägt. Damit meine ich nicht das Ergebnis, sondern die spielerische Leistung. Momentan würde ich sagen, dass Bremen leichte Vorteile hat. Nach dem Wochenende kann sich das aber ändern.

Das Spiel ist übrigens zu Recht ein „Abstiegsknaller“. Allein deshalb, weil zwischen der Kader-Qualität beider Mannschaft vom Euro-League-Halbfinale 2009 und heute Welten liegen.

 

SSUT: In vier Monaten findet die Weltmeisterschaft in Brasilien statt. Viele deutsche Experten finden, dass Deutschland den Titel holen muss. Sehen Sie das auch so oder ist das respektlos gegenüber anderen Nationen?

 

R.F.: Ich finde so eine Forderung völlig überzogen. Nicht, weil das respektlos gegenüber anderen Mannschafen ist, sondern weil die klimatischen Verhältnisse doch eine Menge ausmachen. Ich weiß gar nicht, ob das jedem dieser Experten klar ist.

Hinzu kommt, dass es noch vier Monate bis Turnierstart sind. Was geschieht in der Zeit? Bleiben alle gesund? Wie sieht es dann mit der Form der einzelnen Spieler aus? Auf der Torwartposition werden wir keine Probleme haben. Was ist aber zum Beispiel mit unseren Stürmern? Kommt Mario Gomez nach seiner Verletzung rechtzeitig in WM-Form? Bleibt Miroslav Klose verletzungsfrei? Oder wird vielleicht doch Kevin Volland noch mitgenommen? Vielleicht spielen wir aber auch ganz ohne Stürmer? Und wir wissen auch nicht, was mit Bastian Schweinsteiger geschieht. Wird der wirklich wieder richtig fit werden?

Und was machen eigentliche Spieler wie Jérôme Boateng? Ich war gestern richtig sauer und hoffe, dass er nicht mitgenommen wird. Das habe ich so auch getwittert. Und Mesut Özil – wo steht der mit seiner Form? Momentan ist da gar keine Form vorhanden. Das sind alles nur personelle Sorgen.

Die größte Baustelle ist meines Erachtens aber wirklich das Klima. Wie wird die Mannschaft damit umgehen? Das ist eine zentrale Frage, die in Deutschland noch unterschätzt wird.

 

SSUT: Den Kader haben Sie eben angesprochen. Wer hat Ihrer Meinung nach von den aktuellen „Nicht-Nominierten“ die größte Chance, doch noch als Überraschung auf den WM-Zug zu springen?

 

R.F.: Kevin Volland – ich weiß zwar nicht, ob das so überraschend wäre, aber der hätte es verdient. Er ist ein toller Spieler, der konstant Leistung gebracht hat.

Unsicher bin ich mir noch bei Max Kruse. Nach der Hinrunde hätte ich gesagt: „Der muss auf jeden Fall mit.“ Mittlerweile bin ich mir da nicht mehr so sicher. Er befindet sich, wie die gesamte Mannschaft von Mönchengladbach, in einem Formtief und ich weiß nicht, ob er das rechtzeitig überwinden wird. Deshalb könnte ich mir vorstellen, dass Volland für Kruse mitfliegen wird.

 

SSUT: Letzte Frage - spontane und kurze Antwort: Wer wird Weltmeister?

 

R.F.: Brasilien.

 

SSUT: Brasilien holt den Titel im eigenen Land. Für die Stimmung wäre das optimal. Wir bedanken uns für das spontane Interview, Herr Fuhrmann. Es war ein wirklich interessantes Gespräch, bei dem sehr viel Klartext gesprochen wurde. Vielen Dank!

 

R.F.: Bitte schön. Kein Problem.

 

 

 

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