"Ich muss der 'Sun' dankbar sein"

Teil 1 von 2: Urs Meier hat in seiner langen Karriere alle Höhen und Tiefen eines Schiedsrichters erlebt. Packenden Weltmeisterschaftsspielen und einem Champions-League-Finale stehen Morddrohungen und sogar mehrere Tage Polizeischutz gegenüber. Mit Spiel, Satz und Tor sprach der Schweizer über seine Anfänge als Schiedsrichter, den Videobeweis, die Wahrnehmung der Schiedsrichter in der Öffentlichkeit und sein neues Buch. Von Sebastian Koch und Markus Schulze

Urs Meier wurde am 22. Januar 1959 im schweizerischen Würenlos im Kanton Aargau geboren. 1977 bestand Meier die Schiedsrichterprüfung, 1991 pfiff er sein erstes Spiel in der Natonalliga A, der heutigen Super League, der höchsten Spielklasse der Schweiz. Der siebenmalige "Schweizer Schiedsrichter des Jahres"  leitete bis zu seinem Karriereende unter anderem das Champions-League-Finale 2002, sowie fünf -Halbfinals in Folge. Nach seinem Karriereende 2004 wurde Meier Chef der Schweizer Schiedsrichter. 2011 legte er dieses Amt nieder, und ist seitdem vor allem als Vortragsredner aktiv. Darüber hinaus gehört Meier seit 2006 zum Expertenteam des ZDF bei großen Turnieren.

Quelle: http://www.ursmeier.ch/galerie/businessshotting/ 


Spiel, Satz und Tor: Herr Meier, im kommenden Jahr wird der Videobeweis eingeführt. Wie bewerten Sie diesen Schritt?

 

Urs Meier (57): Es ist gut, dass der Deutsche Fußball-Bund (DFB) in dieser Sache eine Führungsrolle übernimmt, und die Technik im kommenden Jahr auch in Deutschland getestet wird. Schlussendlich geht es um die Frage, ob es den Fußball weiterbringt. Im Spiel gibt es gewisse Situationen, bei denen der Videobeweis Sinn macht. Weshalb sollte man darauf verzichten? Außerdem hat es auch für den Zuschauer im Stadion einen Mehrwert, wenn er sofort weiß, was passiert ist. Jeder kann sehen, was vorgefallen ist. Szenen, wie die im Finale der Weltmeisterschaft 2006, als im Stadion viele den Kopfstoß von Zinédine Zidane gar nicht mitbekommen haben, wird es nicht mehr geben. In solchen Situationen macht der Videobeweis Sinn – für Zuschauer, Spieler und vor allem natürlich auch für den Schiedsrichter.

 

SSUT: Sie sprechen von „solchen Situationen“. Gibt es denn auch welche, in denen der Videobeweis keinen Sinn macht?

 

U.M.: Die gibt es natürlich auch. Der Charakter des Fußballs darf durch die Technik nicht zerstört werden und sie darf nicht zu einem taktischen Mittel werden. Das Spiel muss flüssig bleiben, die Geschwindigkeit darf nicht leiden. Aber genau deshalb gibt es ja auch eine Testphase. Vielleicht wird in einem Jahr gesagt, dass es nicht klappt. Das kann natürlich passieren. Aber es ist erst einmal toll, dass wir so weit sind, uns darauf einzulassen.

 

SSUT: Wann genau sollte der Videoschiedsrichter zum Einsatz kommen?

 

U.M.: Das Spiel muss unterbrochen sein. Wir hatten vor einigen Wochen die Schwalbe von Arturo Vidal gegen Werder Bremen im Pokalhalbfinale. Hier hätte sich der Videoschiedsrichter die Szene anschauen können, und anschließend seinem Kollegen ein Signal geben können, dass es keinen Elfmeter gibt. Das passiert in wenigen Sekunden. Gerade solche Szenen, wenn man grobe Unsportlichkeiten ahnden kann, helfen ja auch dem Sport. Es gäbe viel weniger Schwalben, weil kein Spieler im Stadion vorgeführt werden möchte. Ich bin sicher, dass selbst die Bayern-Fans Vidal ausgepfiffen hätten, wenn sie die Szene noch im Stadion auf der Leinwand gesehen hätten. Eine solche Szene möchte niemand sehen. Das wäre eine solche Situation gewesen, in der der Videobeweis zum Einsatz hätte kommen können. Genauso wäre die Szene mit dem Handspiel in der Partie Köln gegen Hannover dafür prädestiniert gewesen. Es gibt diese Situationen, aber wir müssen vorsichtig sein, dass der Videobeweis nicht als taktisches Mittel genutzt wird.

 

SSUT: Wie kann man das verhindern?

 

U.M.: Indem man sagt, dass nur der Schiedsrichter das Recht hat, den Beweis anzufordern. Es wird momentan die Debatte geführt, ob jede Mannschaft pro Spiel zwei Videobeweise zur Verfügung hat. Das ist problematisch und nicht im Sinne der Sache, besonders in hitzigen oder ganz engen Spielen.

 

SSUT: Hätten Sie sich denn gefreut, wenn Sie einen Videobeweis zur Verfügung gehabt hätten?

 

U.M.: Ja, sicher. In manchen Situationen hätte ich mir das gewünscht (lacht). Ab und zu gibt es Situationen, in denen man mit seiner Entscheidung sehr alleine dasteht. Man ist von der Entscheidung zwar überzeugt, denkt sich irgendwo aber auch ‚War das korrekt?‘. Da wünsche ich mir, was im Moment von der Fifa leider aber nicht angedacht ist, dass der Schiedsrichter das Recht hat, seine Entscheidung selbst noch einmal zu überprüfen. Im Rugby klappt das wunderbar. Der Schiedsrichter gewinnt doch an Persönlichkeit, wenn er Fehler einsieht oder die Möglichkeit wahrnimmt, sich selbst zu verbessern. Wir müssen von diesem Denken weg, dass der Schiedsrichter unfehlbar sein muss. Das ist er nicht. Und wenn der Schiedsrichter die Möglichkeit hat, Fehler einzugestehen und sie von sich aus zu revidieren, gewinnt er an Profil und Stärke.

 

SSUT: Schaut sich der Schiedsrichter momentan Situationen in der Halbzeitpause noch einmal an, bei denen er unsicher ist oder lässt er das ruhen?

 

U.M.: Ich habe das nie gemacht und empfehle auch jedem Schiedsrichter, das nicht zu machen. Denn was passiert, wenn ich als Schiedsrichter in der Halbzeit sehe, dass das Tor, das ich gegeben habe, irregulär gewesen ist? Mit diesem Bild gehe ich in die zweite Halbzeit, und treffe unterbewusst Konzessionsentscheidungen. Das lässt sich gar nicht vermeiden, sondern ist menschlich. Wenn ich diese Bilder in der Pause nicht sehe, bin ich auch in der zweiten Halbzeit noch der Meinung, dass ich Recht gehabt habe. Ich bin so lange der Meinung, bis mir das Gegenteil bewiesen wird – das darf aber erst nach dem Spiel passieren.

"Den Trainern müssen wieder mehr Grenzen aufgezeigt werden"

SSUT: Es entsteht der Eindruck, dass der Druck auf die Schiedsrichter gerade von den Trainerbänken immer größer wird. Diego Simeone, Pep Guardiola, Jürgen Klopp, Roger Schmidt oder natürlich José Mourinho fallen vor allem immer wieder negativ auf. Ist in der Beziehung Trainer-Schiedsrichter ein Wandel in den vergangenen Jahren zu erkennen? Gab es in Ihrer aktiven Zeit auch schon solche Trainer, die massiv versucht haben, die Schiedsrichter zu beeinflussen?

 

U.M.: Es ist ein großer Unterschied zu meiner aktiven Zeit zu erkennen und diese Entwicklung ist nicht gut. Der Druck von der Seitenlinie auf den Schiedsrichter nimmt immer mehr zu. Es gibt Trainer, die pausenlos auf den Unparteiischen einbrüllen, was sich auch auf die Spieler auf dem Platz auswirkt. Es werden gelbe Karten für den Gegner gefordert, was eine grobe Unsportlichkeit ist. Spiele, in denen der Schiedsrichter gefühlt nach jedem Pfiff bestürmt wird, sind keine Seltenheit mehr. Das ist nicht zuletzt die Schuld der Trainer, die die komplette Auswechselbank aufhetzen. Das hat es in der Form zu meiner Zeit noch nicht gegeben.

 

SSUT: Wie muss der Schiedsrichter darauf reagieren?

 

U.M.: Den Trainern müssen ihre Grenzen viel schneller aufgezeigt werden und zur Not müssen sie eben auf die Tribüne geschickt werden. Wenn das ein Trainer dann nicht macht, wird das Spiel eben unterbrochen. In dieser Beziehung sind die Schiedsrichter in den vergangenen Jahren zu großzügig gewesen. Die Trainerbank ist für die Mannschaft verantwortlich, aber nicht für den Schiedsrichter – da müssen wir wieder hinkommen.

 

SSUT: Hat sich Felix Zwayer beim Spiel Leverkusen gegen Dortmund also richtig verhalten, als er das Spiel unterbrochen hatte, weil Leverkusens Trainer Roger Schmidt nicht auf Tribüne gegangen ist?

 

U.M.: Ja, sicher hat er das. Rein regeltechnisch war das absolut in Ordnung. Ich hätte mir zwar gewünscht, dass Zwayer seinen Feldverweis persönlich und nicht über den Kapitän geregelt hätte, aber in der Sache hat er richtig gehandelt. Zumal Roger Schmidt zuvor auch schon mehrfach vom vierten Offiziellen gemaßregelt worden war. Der Schiedsrichter hat zurzeit das Problem, nicht mehr unantastbar zu sein. Nach jeder Entscheidung wird diskutiert, der Schiedsrichter wird angefasst, muss sich erklären. Das geht so nicht weiter. Aber es ist teilweise auch ein hausgemachtes Problem, was aus den Versäumnissen der vergangenen Jahre entsprungen ist.

 

SSUT: Ist das ein rein deutsches Problem oder in anderen Ländern ähnlich?

 

U.M.: In Deutschland ist es extrem. Cünet Cakir, der türkische Schiedsrichter im Champions-League-Halbfinale Bayern gegen Madrid, hatte eine ganz andere Körpersprache als manche deutsche Schiedsrichter in der Bundesliga. Das war ein souveräner Auftritt. Cakir hat jederzeit signalisiert ‚Bis hierhin und nicht weiter‘. Diese Körpersprache und das Selbstbewusstsein haben im Moment nicht alle – und da müssen sich die Verbände überlegen, wie das zu ändern ist. Die Schiedsrichter sind nur so stark, wie es die Verbände vorgeben. Da ist der DFB in der Pflicht, klar zu formulieren, dass die Respektlosigkeiten gegenüber Schiedsrichtern in den vergangenen Jahren so nicht mehr gewollt und akzeptiert werden.

"Wir brauchen 100 Cakirs"

SSUT: Wie hat sich das Bild des Schiedsrichters in den Medien in den vergangenen Jahren geändert?

 

U.M.: Das hat sich, im Gegensatz zu dem eben besprochenen, kurioserweise zum Positiven gewandelt. Das Schiedsrichter-Gespann wird immer mehr als eigenständiges Team wahrgenommen. Es gibt Schiedsrichterexperten, die fester Bestandteil der Fernseh-Übertragungen sind. Daran hätte man vor zehn oder 15 Jahren noch nicht einmal gedacht. Auch die Reporter versuchen immer öfter, die Schiedsrichter zu schützen und zu verstehen. Das ist die eine Seite. In der breiten Öffentlichkeit nimmt der Druck auf die Schiedsrichter aber immer weiter zu. Nicht zuletzt auch durch soziale Netzwerke und die immer besser werdende Technik bei Fernsehübertragungen. Jede Zentimeterentscheidung wird heutzutage als Fehlentscheidung entlarvt, und so entsteht in der Öffentlichkeit das Bild, dass die Schiedsrichter von Jahr zu Jahr schlechter werden. Dabei vergisst man aber, dass die Schiedsrichter auch auf internationaler Ebene Amateure sind und auch amateurhaft trainiert werden. Das ist das, was ich seit Jahren bemängle. Wir brauchen endlich Profi-Schiedsrichter, die auch professionell trainieren. Schlussendlich haben wir doch die Entwicklung, dass sich der Fußball in den vergangenen Jahren immer weiterentwickelt hat. Er wird immer professioneller. Auch das Drumherum, die Infrastruktur, die Übertragungen und was sonst noch alles – alles hat sich sehr schnell extrem professionalisiert. Nur die Schiedsrichter sind noch Amateure und haben sich nirgends, in keinem Land, weiterentwickelt. Da müssen die Verbände schnellstmöglich aufwachen.

 

SSUT: Gibt es denn tatsächlich mehr spielentscheidende Fehler als früher?

 

U.M.: Ja natürlich gibt es die. Das ist doch auch ganz logisch. Das Spiel wird immer schneller, unberechenbarer und komplizierter, aber die Schiedsrichter sind Amateure geblieben - eine Schere, die immer weiter auseinandergeht. Die Folge ist, dass es mehr und mehr Fehlentscheidungen gibt, weil die Schiedsrichter den Ansprüchen an das Spiel nicht mehr gerecht werden. Dagegen hilft auch keine Technik. Das kann nur durch die Professionalisierung des Schiedsrichterwesens kompensiert werden.

 

SSUT: Würde das den Schiedsrichtern auch in der Außendarstellung helfen?

 

U.M.: Selbstverständlich. Schlussendlich werden sie als Fachmänner angesehen. Sie wären, wie auch die Spieler, richtige Profi-Sportler. Es wird ein Verhältnis auf Augenhöhe geschaffen, so wie es zum Beispiel in nordamerikanischen Sportarten seit Jahren Gang und Gäbe ist. Dahin müssen wir auch im Fußball kommen.

 

SSUT: Was ändert sich durch die Professionalisierung der Schiedsrichter?

 

U.M.: Wir haben das Problem, dass die Schiedsrichter das Spiel nicht mehr lesen können. Sie wissen nicht, was passiert und sind deshalb oft zu spät. Der Schiedsrichter reagiert mehr als dass er agiert. Das ist verkehrt, ja sogar fatal. Ein guter Stürmer weiß, wo der Ball hinkommt. Ein guter Schiedsrichter weiß das im Moment nicht. Es muss für ihn Taktikschulungen geben. Er muss schon vorher wissen, dass es in dieser Szene brenzlig wird. Hätte ich bei der Schiedsrichterausbildung der Uefa oder Fifa etwas zu sagen, würde ich es zur Pflicht machen, die vergangenen drei Europapokalspiele von Cakir anzuschauen. Die hat er sensationell gepfiffen. Aber diesen Maßstab kann man, auf Grund der mangelhaften Ausbildung, nicht an alle Schiedsrichter stellen. Das wäre ungerecht. Cakir ist ein überragender Schiedsrichter, der das Spiel lesen kann. Er ist eine Ausnahme. Aber wir brauchen eben nicht nur einen Cakir. Wir brauchen 100 Cakirs. Da müssen wir hinkommen und da sind die Verbände in der Pflicht.

 

SSUT: In der zweiten Bundesliga gibt es den Torwart René Vollath. Beim Karlsruher SC unter Vertrag, pfeift er als Schiedsrichter Spiele in der Landesliga. Ist das ein Modell für die Zukunft?

 

U.M.: Natürlich. Es müssen ja auch nicht unbedingt aktive Profis sein, sondern können auch ehemalige sein. Ich würde mir wünschen, dass Spieler, die ihre Karriere beispielsweise wegen einer Verletzung früh beenden, diesen Weg einschlagen. Dann wird man eben kein Trainer oder Manager, sondern Schiedsrichter. Warum denn nicht? Da kann auch ein schnellerer Aufstieg ermöglicht werden, weil das spieltaktische Verständnis eben schon vorhanden ist. Es ist aber auch klar, dass nicht jeder ehemalige Profi ein guter Schiedsrichter wird, weil hier natürlich auch persönliche Eigenschaften eine immense Rolle spielen. Aber es ließe sich etwas auf einer gesunden Basis aufbauen.

Gelbe Karte mit Folgen: Urs Meier zeigt im WM-Halbfinale gegen Sürdkorea (1:0) Michael Ballack nach einem taktischen Foul die gelbe Karte - der deutsche Kapitän fehlt der Nationalmannschaft im Finale gegen Brasilien (0:2) gelbgesperrt.

"... da habe ich mir überlegt, ob das noch sein muss."

SSUT: Schiedsrichter gibt es in allen Klassen, von der Kreisklasse zur Bundesliga. Natürlich haben auch sie in den unteren Ligen angefangen. Was ist denn schwieriger zu pfeifen - ein Kreisklassenspiel oder eines in der Champions League?

 

U.M.: Eine sehr schwierige Frage (lacht). Rein technisch ist ein Kreisklassenspiel viel schwieriger zu pfeifen, da du das Spiel eigentlich fast nicht lesen kannst. Es passieren die kuriosesten Dinge, Bälle verspringen, die Technik ist nicht da und es gibt keine wirklichen taktischen Spielzüge. Da kommt es vor, dass du denkst, ein Spieler müsse den Ball jetzt auf die rechte Seite schlagen, stattdessen macht er ein Dribbling und geht in einen völlig überflüssigen Zweikampf. Und du bist, weil du mit etwas anderem gerechnet hast, schon 20 Meter weiter vorne (lacht). Das ist nicht leicht. Von der Spielgeschwindigkeit und dem Druck auf den Schiedsrichter aber ist natürlich ein internationales Spiel schwieriger. Besonders die Geschwindigkeit eines Spiels wird unterschätzt, weil die im Fernsehen gar nicht so rüberkommt. Man sieht im Fernsehen auch nicht, wie schnell ein Formel-1-Wagen wirklich fährt. Das schaut ja auch viel langsamer aus, so ist es im Fußball auch. Ein Spiel ist mittlerweile unglaublich schnell. Dazu kommt der Druck der Medien, von 80.000 Zuschauern im Stadion und von den Spielern, den du aber natürlich auch in den unteren Klassen hast. Die Frage ist schwierig zu beantworten.

 

SSUT: Welche Rolle spielen die Zuschauer in den unteren Klassen?

 

U.M.: Natürlich auch eine große. Es sind zwar keine 50.000 sondern nur 120, aber die Distanz ist geringer. Der Kontakt Zuschauer-Schiedsrichter ist in den unteren Klassen viel intensiver, weil diese direkt neben der Seitenlinie stehen. Das ist in manchen Fällen ja brutal und für Kreisklassen-Schiedsrichtern natürlich sehr viel schwieriger als für einen Schiedsrichter in einem Weltmeisterschafts-Finale. Es geht immer ins Persönliche, man ist auf Augenhöhe. Das alles darf man nicht unterschätzen. Man hört jedes Schimpfwort, in großen Stadien ist das viel anonymer.

 

SSUT: Haben Sie in Ihren Anfangsjahren jemals ans Aufhören gedacht wegen des Drucks, der auf Schiedsrichtern in den unteren Klassen herrscht?

 

U.M.: Nein, nicht aus diesem Grund (lacht).

 

SSUT: Aber aus einem anderen (lacht)?

 

U.M.: Ja (lacht). Es gab einen Moment, an den ich mich erinnern kann. Damals hatte ich das Gefühl, ich müsste schon mindestens eine oder sogar zwei Ligen höher pfeifen und wurde vom Einteiler zu einem Spiel in der fünften Liga geschickt. Die fünfte Liga ist im schweizerischen Fußballverband die niedrigste. Der Einteiler hatte mich nicht sonderlich gemocht (lacht), und hielt es für eine gute Idee, mich zu einem Spiel an einem Sonntagmorgen um 8 Uhr einzuteilen. Das Spiel war in einem Wald, ich wusste noch nicht einmal wirklich, wo ich überhaupt hin musste. Die Auswärtsmannschaft war dann auch noch die meines Nachbardorfes. Ich bin also um 7 Uhr zum Platz gefahren und habe da schon Spieler gehört, die mich erkannt und sich aufgeregt haben, dass sie mit mir als Schiedsrichter heute gar keine Chance hätten. An diesem Tag habe ich mir wirklich überlegt, ob das noch sein muss und für mich Sinn macht (lacht). Ich war jung, ehrgeizig und wollte schnell nach oben. Das war das einzige Mal, dass ich ans Aufhören gedacht habe.

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