"Du versuchst einfach nur zu überleben"

Lutz Pfannenstiel ist ein Weltenbummler. Zugegeben, als Weltenbummler werden heutzutage schon Profis bezeichnet, die in vier oder fünf verschiedenen Länder gekickt haben. Pfannenstiel ist da jedoch nochmal eine ganz andere Kategorie. Geboren in Zwiesel, zog es den Torwart früh nach Malaysia, was der Start einer außergewöhnlichen Karriere über alle Kontinente war.

In Malaysia im Gefängnis, in England auf dem Feld dreimal reanimiert worden - Pfannenstiel erlebte all das, was ein (normaler) Profi eigentlich nicht erleben will.

Mit uns unterhielt sich der heute 41-Jährige über seine Erlebnisse und seine Gegenwart. Auch für uns war es ein außergewöhnliches Gespräch, das anders als alltägliche Sportlerinterviews gewesen ist.

 

(ms/seko). Spiel, Satz und Tor: Herr Pfannenstiel, wissen Sie spontan, in wie vielen Ländern und für wie viele Vereine Sie aktiv waren?


Lutz Pfannenstiel (50): Eigentlich schon (lacht). Also, wenn ich mich nicht verzählt habe, müssten es 25 Vereine in 13 Ländern sein.

 

SSUT: Genau die Zahlen haben wir auch recherchiert. Da kann man ja auch mal leicht den Überblick verlieren.    
Bei so vielen Vereinen und dementsprechenden Vereinswechseln fragt man sich natürlich, ob Sie mit Ihrer Karriere, so wie sie verlaufen ist, zufrieden sind oder ob Sie nicht den Moment vermisst haben, auch mal sesshaft zu werden. Sind Sie also vom Typ her wirklich eher ein Wandervogel oder doch in irgendeiner Weise auch ein Nesthocker?

 

LP: Ich denke, das kann man nicht so genau sagen. Einerseits bin ich kein geborener Wandervogel, sondern das war auch (lacht) größtenteils den Umständen geschuldet. Einige der Klubs, bei denen ich war, gingen pleite, anderen wurde die Lizenz entzogen und wieder bei anderen führte ein Trainerwechsel zum Vereinswechsel. Hinzu kam auch, dass ich sehr viele Leihverträge und Leihgeschäfte gemacht habe, die ich persönlich nicht unbedingt als Vereinswechsel bezeichnen würde.    
In Neuseeland war ich beispielsweise fünf Jahre beim gleichen Klub und habe auch der Liebe zum Fußball wegen mich ausleihen zu lassen. Die Saison in Neuseeland dauert nur sechs Monate und ich habe den Entschluss gezogen, anstatt zwei Monate in den Urlaub zu fahren und dann eine siebenmonatige Vorbereitung zu absolvieren, mich eben den Rest des Jahres nach Europa oder in die USA ausleihen zu lassen.    
So hatte ich dann eben das Glück, im Prinzip 12 Monate durchgehend im Saisonbetrieb gewesen zu sein. Das war eine ideale Geschichte. Also ich bin nicht zum Spaß irgendwo rumgesprungen und habe den Verein gewechselt. Ich hätte auch sagen können, ich bleibe in der Zeit in Neuseeland und liege meinem Klub auf der Tasche. Das wollte ich aber nicht, sondern ich wollte so viel Spiele wie möglich machen und nicht die bequemere Lösung zu finden.

 

SSUT: Sie waren auf allen sechs Kontinenten aktiv, haben viele Länder bereist und viele Kulturen gesehen und erlebt – welches Land fanden Sie am faszinierendsten?

 

LP: Das ist eine sehr schwierige Frage, weil ich natürlich zu vielen Ländern und Vereinen eine sehr enge Beziehung habe. Meine spektakulärste und attraktivste Station war wahrscheinlich Brasilien. Das war auch schon als Kind  immer schon ein Traum von mir. Als Ausländer und als Europäer in Brasilien in der ersten Liga spielen zu dürfen, ist natürlich eine Ehre, weil die Vereine das eigentlich nicht nötig haben. Das war schon etwas ganz besonderes.   
Vom Leben her war Vancouver in Kanada als Stadt eine tolle Geschichte. Oslo ist eine schöne Stadt, aber ich habe auch zu Neuseeland immer noch eine sehr emotionale Bindung. Einfach deshalb, weil Neuseeland das Land war, das mir, nach meiner Gefängnisstrafe in Singapur, mein normales Leben wieder zurückgegeben hat.


SSUT: Das war auch mit die witzigste ihrer Stationen. Mit all den Polizisten, die sehr witzig drauf waren. Der Abschnitt hat sich sehr gut und kurzweilig gelesen.

 

LP: (lacht).

 

SSUT: Zu Beginn Ihrer Karriere hatten Sie ein großes Angebot von den Bayern, haben das aber abgelehnt und sind stattdessen nach Malaysia. Das war eine völlig neue Kultur für einen noch recht jungen Menschen. Was haben Sie gedacht, als Sie mit dem Flugzeug in eben diese neue Kultur unterwegs waren? Und was haben Ihre Freunde zu dem Plan gesagt? Es war ja kein ganz alltäglicher Plan, den Sie da gefasst hatten.

 

LP: Das war die erste und wahrscheinlich wichtigste Entscheidung in meiner Karriere, sonst wäre wohl alles ganz anders gekommen. Das kann man, denke ich, so sagen. Es waren aber nicht nur die Bayern, sondern ich hatte drei konkrete Angebote von Bundesligisten. Das waren allerdings Offerten als Vertragsamateur. Das Wort hat mich schon damals wahnsinnig gemacht. Es hätte bedeutet, dass ich mit den Profis trainiert, aber in der zweiten Mannschaft gespielt hätte. Ich habe damals bei Bad Kötzing in der höchsten Amateurliga gespielt und konnte mich mit dem Gedanken eines Vertragsamateurs nicht anfreunden. Die ganzen Amateurmannschaften haben bei Bad Kötzing in der Liga gespielt. Dann habe ich mir gedacht, dass ich auch mit Bad Kötzing gegen die Amateure der Bayern oder Nürnberg spiele und sogar möglicherweise gewinne. Nächstes Jahr würde ich dann mit den Amateuren in Bad Kötzing spielen und bekomme eine auf die Nuss. Meine ganzen Freunde stehen hinter meinem Tor und lachen mich aus, das hätte ich nicht gebraucht. Ich wollte einfach Profi sein.    
Dann kam das Angebot aus Malaysia. Das war für einen so jungen Kerl natürlich spektakulär und ich habe mich ein bisschen über den dortigen Fußball informiert. Es waren sehr hohe Zuschauerzahlen, gute Stimmung und es war ein völlig anderes und neues Gefühl. In der Bayernliga habe ich vor 500 Leuten oder bei einem Topspiel auch mal 1500 bis 2000 Zuschauern gespielt und in Malaysia kommen zu einem normalen Spiel auch mal 70.000. Das ist ein Unterschied (lacht). Natürlich ist der Fußball in Malaysia kein Top-Niveau, da brauchen wir uns nicht unterhalten.    
Mein privates Umfeld hat das sehr überrascht aufgenommen. Ich war damals in der Jugendnationalmannschaft und war eines der größten Talente meines Jahrgangs. Dann diesen Wechsel in ein Land zu wagen, das hierzulande kaum wahrgenommen wird, war natürlich ein großer Schritt.

 

SSUT: Sie bekamen dann endlich ein unterschriftsreifes Angebot vom FA Penang. Der Vertrag war noch nicht unterschrieben und anstelle eines Trainings wurden Sie in ein laufendes Spiel zur zweiten Halbzeit eingewechselt. Die Nacht vor dem Spiel war jetzt nicht die längste, es floss auch das ein oder andere Glas Alkohol (beide lachen). Ohne jemals auch nur eine Minute mit der Mannschaft trainiert zu haben, spielten Sie plötzlich vor 12.000 Zuschauern. Was war das für ein Gefühl?

 

LP: Da kam sehr viel zusammen. Ich hatte in den Tagen davor einige flüchtige Angebote, die alle nicht eingehalten wurden bzw. geplatzt sind. Ich war generell schon auf…(lacht)…ja, ich war auf 180 (lacht). Ich wollte einfach endlich wieder Fußball spielen und dann kam dieser besagte Tag. Man muss dazu sagen: Ich bin nicht unbedingt ein großer Trinker und trinke eigentlich nie Alkohol. Bis zum heutigen Tage würde ich mich als Anti-Alkoholiker bezeichnen. Da muss schon wirklich alles zusammenpassen, wenn ich ein Glas trinke. Und just an dem Abend vor dem Spiel bin ich also mal um die Häuser gezogen, habe etwas über den Durst getrunken und bin dann am nächsten Morgen etwas unsanft geweckt worden und es hieß: „Du musst dieses Spiel machen. Das ist ein sehr guter Klub und der Trainer und der Präsident wollen dich verpflichten.“ Ich wurde dann quasi noch schlafend ins Flugzeug geschleppt und bin mit Verspätung angekommen und hatte eigentlich ein ziemlich ungutes Gefühl. Aber ich hatte mir auch gesagt, dass ich es jetzt erst recht schaffen werde. Dann kam auch noch Adrenalin ins Spiel und ich wollte den Jungs natürlich zeigen, wo der Hase lang läuft. Letztendlich war es ja auch ein sehr erfolgreiches Spiel, ich habe gut gehalten und gute Kritiken bekommen. Das war eigentlich eine runde Geschichte.

 

SSUT: Durch Ihre guten Leistungen wurden Scouts aus England auf Sie aufmerksam. Sie spielten in den Reservemannschaften von Wimbledon und Nottingham Forest, wurden anschließend nach Südafrika ausgeliehen. Bei den Orlando Pirates wurden Sie Stammtorwart und von Straßengangs weitgehend verschont. Eine flüchtige Bekannte wurde ermordet.   
Trotz dieses Vorfalls machten Sie sich im Vorfeld auf die WM 2010 immer wieder für Südafrika als Ausrichter stark und verteidigten den Staat auch in Bezug auf die Sicherheit. Was macht für Sie die Faszination Südafrika aus?

 

LP: Es ist nicht nur die Faszination Südafrika, sondern mich fasziniert generell der ganze schwarze Kontinent. Mit Südafrika habe ich wegen jener Zeit selbstverständlich ein bisschen engeres Verhältnis. Ich bin aber beruflich auch in vielen anderen afrikanischen Ländern unterwegs. Was fasziniert mich? Die Stimmung in den Stadien, das ganze Fanwesen ist einzigartig. Das Derby zwischen Orlando Pirates und Kaizer Chiefs ist ohne Frage eines der größten der Welt. Das wird auch unter Fußballkennern oft unterschätzt oder übersehen. Man muss sich vorstellen, dass sich an diesen Abenden über eine Million Menschen rund um das Stadion das Spiel in Kneipen oder auf Leinwänden anschauen. So etwas ist für uns selbst in Deutschland schwer zu vergleichen und zu beschreiben.    
Südafrika war für mich zunächst ein Kulturschock, denn das Problem zwischen den schwarzen und weißen Menschen war ein Zustand für mich, den ich bis dahin so gar nicht kannte und mit dem ich zu dem Zeitpunkt auch nicht so recht umgehen konnte und ihn nur schwer einschätzen konnte. Man muss in dieses System hineingeboren werden, um es verstehen oder wahrnehmen zu können. Ich habe es damals nicht begriffen und konnte mir auch nicht vorstellen, wie so etwas überhaupt möglich ist. Ich muss sagen, das war eine harte Lehrstunde. Aber das Land an sich ist absolut faszinierend und überwältigend.

 

SSUT: Sie kamen nach Finnland und, so schreiben in ihrem Buch, „der Gedanke sesshaft zu werden, erfasste mich erstmals in all seiner Ernsthaftigkeit.“ Sie entschieden sich gegen ein Angebot, für die indonesische Nationalmannschaft zu spielen – mittlerweile waren Sie mit einer Indonesierin liiert –, blieben aber nicht in Finnland, sondern nahmen ein Angebot von Wacker Burghausen an und kehrten nach Deutschland zurück. Wie sehr haben Sie sich damals gefreut, nach sechs Jahren wieder nach Hause zu kommen, mit dem Hintergrund, dass Sie ihre „Welttournee“ damit abschließen würden?

 

LP: Eigentlich gar nicht (lacht). Burghausen war für mich eine sportliche Herausforderung, ich war damals 25 Jahre, habe davor bei Haka Valkeakoski gespielt, dem absoluten finnischen Vorzeigeklub. Wacker Burghausen hat mir gefallen. Das war kein normaler Regionalligaklub, sondern war absolut professionell geführt und wollte in die Zweite Bundesliga aufsteigen. Das hat dann ja auch geklappt. Es war von den Voraussetzungen eine sehr gute Geschichte und ich hatte auch in den Jahren davor immer wieder Kontakt zu Wacker und hatte auch schon als Jugendlicher Angebote nach Burghausen zu wechseln. Es war einfach eine Challenge, eine Herausforderung. Außerdem ging es nach Bayern in die Heimat. Leider blieb es ja nur bei einem Jahr.

 

SSUT: Es wurde eines ihrer traurigsten Kapitel in ihrer Kariere. Irgendwo ist das eine Ironie und passt auch fast schon in Ihre Biografie, dass Sie ausgerechnet in Deutschland nicht glücklich wurden und doch weiterziehen mussten. Ihre damalige Frau, eine Asiatin, wurde rassistisch beleidigt und sie bekamen mit toten Tieren vor der Haustür und im Briefkasten Morddrohungen übermittelt. Der Vertrag in Burghausen wurde aufgelöst und Sie und Ihre Familie gingen nach Südostasien zurück. Mit welchen Gefühlen „flüchteten“ Sie aus Deutschland?

 

LP: Es war natürlich eine böse Überraschung. Ausgerechnet in Bayern, in der Provinz, wo man sagt: „Da ist die Welt noch in Ordnung“. Am Anfang habe ich gedacht, das ist ein Witz oder, dass irgendein Wahnsinniger versucht, etwas Spaß zu haben. Das Ganze wurde jedoch von Woche zu Woche schlimmer und später auch ein Fall für die Kriminalpolizei. Wir bekamen auch Personenschutz und allen möglichen „Schmarrn“. Es ging schon relativ weit.
Ich hatte damals nie erwartet, dass so etwas passieren kann. Man muss dazu sagen, dass sich der Verein um alles gekümmert und uns von A bis Z unterstützt hat.    
Ich hatte noch mehrere Jahre Vertrag in Burghausen, habe mich da auch eigentlich recht wohl gefühlt und wollte aus sportlicher Sicht deshalb auch nicht wechseln. Als es dann allerdings wirklich akut wurde, war natürlich klar, dass das keine Basis mehr war für eine Zusammenarbeit. Nicht wegen mir, ich war denen ja eigentlich relativ wurscht. Aber es ging um die Sicherheit der Familie und deshalb mussten wir da ganz schnell wieder einen Schlussstrich ziehen.

 

SSUT: Das ist absolut verständlich.    
Es ist zwar nur schwer zu glauben, aber in Singapur, wohin Sie gewechselt sind, wurde es für Sie persönlich fast noch tragischer. Sie wurden dort – völlig zu Unrecht – wegen angeblicher Spielmanipulation zu einer mehrmonatigen Haftstrafe verurteilt. In Ihrem Buch haben Sie beschrieben, wie der Kontakt zu dem Drahtzieher der Spielmanipulation – mit der Sie aber nichts zu tun hatten – zu Stande kam. Kam Ihnen zu dem Zeitpunkt des ersten Treffens schon irgendein Verdacht, dass Sivakumar – wie Sie ihn nennen – mehr als nur eine neue „Freundschaft“ pflegen will?

 

LP: Naja, diese sogenannte Bekanntschaft waren im Wesentlichen drei Treffen. Deshalb kann man eigentlich noch nicht mal von einer Bekanntschaft oder gar Freundschaft sprechen. Ich wusste im Prinzip noch nicht mal seinen Namen. Auf diese Spielmanipulationen hat rein gar nichts hingedeutet. Er war ein ganz normaler Golfprofi bzw. ein Golftrainer. Ich habe ihn auch als einen solchen kennengelernt. Er hat sich nie als großer Buchmacher oder Wetter dargestellt. Die Aussagen von ihm waren so banal, wie sie jeder Fußballprofi in seiner Karriere tausend Mal hört: „Nächste Woche geht es gegen Mannschaft X. Wie stehen Eure Chancen?“ Neunzig Prozent der Profis sagen dann „wir sind gut drauf.“ (lacht) Außer es geht vielleicht gegen Bayern München. Dann sagst du „Ja, es wird nicht einfach“. Aber wir hatten damals eine überragende Mannschaft, waren immer vorne mit dabei und haben um den Titel mitgespielt. Dann kam eben die Aussage von mir: „Wir sind gut drauf und hauen die weg“. Er hat sich nie in die Richtung geäußert, dass er auf mich oder auf uns wetten will oder sonst was.    
Darum war es für mich eine „Sensation“ in die ganze Geschichte mit reingezogen zu werden und eine noch größere „Sensation“ in seinem Statement zu lesen, ich hätte manipuliert. Selbst, wenn er zu mir gesagt hätte, dass, wenn wir gewinnen, ich einen Bonus bekommen würde, wäre ich mir keiner Schuld bewusst. Wenn irgendein Dahergelaufener darauf wettet, dass eine Mannschaft gewinnt, machst du als Spieler oder Torwart ja nur deine Arbeit und versuchst zu gewinnen. Falls einer sagt: „Wenn Ihr gewinnt, bekommst Du eine Weißwurst“ empfinde ich das nicht als eine korrupte Aktion. Aber in Singapur laufen die juristischen Uhren leider komplett anders. Das ist an Tragik schon kaum zu überbieten, wenn man als – sag ich mal – Musterprofi, der sein ganzes Leben den Fußball lebt, in so etwas reingezogen wird und dann auch noch in einen der schlimmsten Kerker der Welt gesteckt wird. Und das alles nur, weil dir irgendein Mensch die Frage stellt, ob du gewinnst oder nicht. Ich frage mich heute noch ab und zu, wie das überhaupt juristisch möglich war, mir aus dieser Geschichte einen Strick zu drehen. Aber es ist ein anderes Land und andere Sitten. In Singapur kommt man ja schon ins Gefängnis, wenn man einen Kaugummi auf die Straße spuckt.

 

SSUT: Wann kam der Moment, an dem Sie erstmals wirklich daran gedacht haben „Verdammt, das ist kein Missverständnis. Hier geht es nicht nur um meine Karriere, sondern sogar um meine Freiheit.“?

 

LP: In dem Moment, als die singapurische Geheimpolizei eingegriffen hat. Das ist eine Organisation, mit der wirklich nicht zu spaßen ist. Wenn die sich mit einem Fall beschäftigen, dann wollen die Jungs diesen auch nicht verlieren, sondern abschließen. Da wird dann so lange dran rumgeschraubt, bis der Fall gewonnen ist. Wenn die dich mal auf dem Radar haben, kannst du im Prinzip nur noch verlieren. Ich war so dermaßen davon überzeugt, dass mir in dieser Geschichte, mit meiner Aussage nichts passieren kann und hätte die Gerichtsverhandlung als eine Herausforderung angenommen. Ich bin kein Typ, der einfach sagt „Ja, ich bin schuldig“. In so einem Fall wäre wahrscheinlich auch nichts passiert, eine Woche Gefängnis und dann fliegt man nach Hause. Aber ich denke, man muss in so einem Fall dann auch ein bisschen Recht und Gerechtigkeit sehen und darum habe ich mir von vornherein gesagt: „Selbst, wenn ich weggesperrt werde, werde ich nie zugeben, dass ich schuldig bin, weil ich es einfach nicht bin. Aus. Ende.“ Das war natürlich eine sehr schwerwiegende Entscheidung und hätte ich mich anders entschieden, wäre ich nach Hause gefahren. Dann wäre aber auch wahrscheinlich meine Karriere kaputt gewesen. Weil, wenn du sagst „Ich bin schuldig“, kannst du schlecht nach Hause fahren, und sagen, ich habe das nur gesagt, weil…. Da verlierst du dann dein Gesicht. Das habe ich eigentlich bis zum heutigen Tag immer als sehr wichtig empfunden, dass durch den Gerichtsverlauf quasi bewiesen wurde, dass ich mir nichts zu Schulden habe kommen lassen.  Das ist das, was aus der Geschichte geblieben ist.

 

SSUT: Sie haben eben das Gefängnis als „den schlimmsten Kerker der Welt“ bezeichnet. Gibt es für Sie nichts Schlimmeres auf der Welt als den Knast in Singapur?

 

LP: Es gibt mit Sicherheit auch andere schlimme und wahrscheinlich auch noch gefährlichere Gefängnisse auf der Welt. Das Problem ist, egal in welchem Dritte-Welt-Land oder Vierte-Welt-Land auch immer: Wenn du als Europäer da hinkommst und du hast finanzielle Möglichkeiten, kannst du dir immer eine gewisse Freiheit kaufen. Dann wird halt vom Vater oder vom Anwalt jeden Monat eine gewisse Spende an das Gefängnis überwiesen und du kannst versuchen, ein halbwegs normales oder besseres Leben als die anderen Insassen zu führen. Da man in Singapur beim Thema Korruption aber so dermaßen hart drauf ist, hast du in dem Land keine Möglichkeiten, dir irgendwelche Vorteile zu erkaufen. Sondern du bekommst als Europäer, Amerikaner, Weißer oder Fußballer eher nochmal eine auf den Deckel, weil du eben ein Mensch bist, der in der Öffentlichkeit steht. Von dem Gesichtspunkt war dieses Gefängnis natürlich die absolute Pest. Es ist auf einen extrem spartanischen Gehorsam ausgelegt. Das heißt, du bist im Endeffekt quasi nur in deiner Zelle und bekommst was auf die Fresse, wenn du irgendetwas machst. Du versuchst einfach, zu überleben, schläfst auf dem Betonboden, weil kein Bett in der Zelle ist und hast noch nicht einmal Toilettenpapier. Du lebst also wie der letzte Mohikaner und versuchst irgendwie zu überleben.

 

SSUT: Noch heute sind Sie auf dem Gebiet des asiatischen Fußballverbandes auf Lebenszeit gesperrt. Waren Sie seitdem je wieder in Singapur oder würden Sie dort jemals wieder hinfliegen?

 

LP: Ich würde, egal was auch passiert, niemals wieder dort einreisen. Ich habe natürlich in  der Zwischenzeit x-Angebote von Talkshows bekommen, die mir auch wirklich große sechsstellige Beträge bezahlen würden. Aber es geht mir erstens um das Prinzip und zweitens weiß ich genau, weil ich dem System nach meiner Entlassung immer sehr kritisch gegenüberstand, würde ich nicht sehr weit kommen. (lacht) Dann würde ich wieder in gewohnte Abläufe eintauchen. Von daher wird es in diesem Leben nie wieder passieren, dass ich dort einreisen werde. Egal, wie hoch der Preis ist. Egal, was für sonstige Anreize man mir bieten würde. Ich würde es auf jeden Fall ablehnen.

 

SSUT: Nach Ihrer Freilassung ging es über Neuseeland nach England, wo sich ebenfalls ein Drama um ihre Person abgespielt hat. Während eines Spiels mussten Sie nach einem Zusammenprall gleich dreimal wiederbelebt werden. Ihre schwangere Frau war im Stadion und erlebte das live mit. Wie oft haben Sie in der direkten Zeit nach diesem Spiel an ein Karriereende gedacht?

 

LP: Überhaupt nicht.

 

SSUT: Gar nicht?

 

LP: Nein. Ich habe das Kunststück fertig gebracht, dreimal klinisch tot zu sein, zweieinhalb Stunden im Koma zu liegen und sieben Tage später wieder auf dem Platz zu stehen.


SSUT: Das macht nicht jeder so.


LP: Ich bin nach dem Motto verfahren „Wenn es dich auf der Schanze auf die Schnauze haut, steige wieder auf die Bretter und spring runter. Dann verlierst du die Angst und nichts bleibt hängen.“ Bei mir war es genauso. Ich habe mir den Zusammenprall ein paar Mal am Fernseher angeschaut, habe tausende Genesungswünsche aus ganz England bekommen. Das Ganze war natürlich sehr emotional, auch innerhalb des Klubs (Bradford Park Avenue/d. Red.). Ich wusste einfach, ich muss da jetzt durch. Ich hatte noch eine Fraktur am Brustbein. Das wurde ein bisschen gepolstert und ich stand fünf Tage danach wieder auf dem Trainingsplatz und habe mit Schmerzen und etwas langsamer trainiert. Sieben Tage nach der Verletzung habe ich wieder ein ganz normales Pflichtspiel, ein Pokalspiel, absolviert. Es kam ein ähnlicher Ball wieder, ich habe wieder durchgezogen und von da an war die Angst weg. Das ist bis auf den heutigen Tag so geblieben.

 

SSUT: Sensationell, muss man sagen. Das macht nicht jeder so, wenn es überhaupt jemand gibt, der das macht. Über Norwegen ging es nach Kanada, Albanien und Armenien. In Armenien wurden Sie Trainer und sollten mit Hilfe eines Mäzens eine Mannschaft aufbauen. Dieser beendete von einem Tag auf den anderen sein Engagement. In Deutschland haben wir mit 1899 Hoffenheim oder RasenBallsport Leipzig ähnliche Vereine, Chelsea London oder Manchester City spielen sogar in der Champions League. Wie sehen Sie mit dem Hintergrund in Armenien und ihrem jetzigen Arbeitgeber, der TSG Hoffenheim, diese Entwicklung?

 

LP: Es kommt auf das Level an. Wenn das so professionell und mit solcher Pefektion durchgeführt wird wie in Leipzig oder Hoffenheim, ist das eine wunderbare Geschichte. Wenn aber ein kleinerer Verein innerhalb von nur wenigen Monaten so hochgepusht wird, ohne den Background, das über Jahre hinweg zu verfolgen, eine Struktur und Infrastruktur aufzubauen, dass der Verein über Jahre und Jahrzehnte überleben kann, dann ist das natürlich nicht einfach. Wenn es aber perfekt betrieben wird und man einen langfristigen Plan davon hat, was man eigentlich will, dann ist das eine gute Geschichte. Bei mir war es in Armenien so, dass wir also einen großen Berg Geld auf dem Konto hatten und ich eine tolle Mannschaft formen und aufstellen konnte. Wir haben mit einer Truppe, die ich innerhalb von wenigen Wochen quasi aus dem Boden gestampft habe, von, ich glaube, 16 Spielen nur eines verloren und die restlichen 15 gewonnen. Da war es aber eben so, dass sich der Mäzen in den Kopf gesetzt hatte, innerhalb weniger Wochen die großen Klubs weghauen zu können. Das hat er zwar auch geschafft, aber leider nur bis zu einem gewissen Zeitpunkt. Dann hat seine private Firma einen Engpass und er hat den Geldhahn zugedreht. Der Verein war, genau in der Zeit, in der er gepusht wurde, auch wieder tot. In solchen Fällen muss man so etwas natürlich kritisch sehen.    
Es muss alles auf felsenfesten Beinen stehen und so abgesichert sein, dass es langfristig erfolgreich sein kann. Dann ist das zu 100 Prozent in Ordnung. Wenn das aber nur nach dem Motto „Schau´mer mal“ läuft, muss man es kritisch begutachten.

 

SSUT: Kommen wir doch mal auf ihren großen Weltrekord zu sprechen. Mit dem ersten Pflichtspiel in Brasilien haben Sie auf allen sechs Kontinenten gespielt, was noch kein Mensch geschafft hat. Was hat Ihnen dieser Weltrekord bedeutet und war Ihnen das zum damaligen Zeitpunkt bewusst?

 

LP: Mir war das eigentlich nicht bewusst. Ich habe gewusst (lacht), dass ich sehr stark international aktiv war (lacht). Eines Tages meinte mein Agent, als ich in Norwegen war, dass ich schon auf fünf Kontinenten aktiv war und es noch kein Mensch geschafft hat, auf sechs zu spielen. Ich habe das damals gar nicht so ernst genommen. Dann wurde ich nach Vancouver transferiert und mit einem Angebot aus Paraguay kam das Thema nochmal richtig hoch. Weil ich aber einen guten Vertrag in Vancouver hatte, wollte ich nicht wechseln. Aber ich hatte, wie ich schon gesagt habe, schon als Kind diese Schwäche für Brasilien. Dazu noch diese Ehre, der erste deutsche Profi in Brasilien zu sein, dort spielen zu dürfen und dann eben noch die Sache, eben als erster Fußballer auf allen sechs Kontinenten aktiv gewesen zu sein, war natürlich schon verlockend. Als es dann so weit war, hat es mir sicherlich ein bisschen die Beine weggezogen und darauf bin ich natürlich auf stolz. Erstens, dass ich das geschafft habe und zweitens, weil ich davon ausgehe, dass das in der näheren Zukunft auch nicht gebrochen werden wird und ich wirklich der einzige Mensch bin, der das vollbracht hat. Das gibt mir auch in der Familie der Profifußballer einen gewissen Stand, einen Status, innerhalb der großen Namen. 

 

SSUT: Eine wirklich sehr außergewöhnliche Karriere. Aber was macht Lutz Pfannenstiel heute?

 

LP: Der Lutz Pfannenstiel macht sehr sehr viel. Ich habe mir meine Zukunft auf vier Säulen aufgebaut. Die vier Säulen laufen alle darauf hin, was ich eben mein Leben lang gemacht habe. Ich war eben sehr stark im Ausland aktiv und bin dementsprechend vernetzt. Mein Hauptaugenmerk liegt auf Hoffenheim, wo ich für das internationale Scoutingnetzwerk zuständig bin. Das bedeutet, dass ich in der Kaderplanung mit eingebunden bin und versuche, Talente aus verschiedenen Bereichen zu finden. Das geht von der U17- und U20-Weltmeisterschaft über den Confed-Cup bis in bestimmte Ligen, wie zum Beispiel die brasilianische. Ich bin also für Hoffenheim weltweit tätig und im Einsatz.   
Dann bin ich bei Hoffenheim auch noch für die internationalen Beziehungen zuständig. Ich repräsentiere den Verein also im Ausland in Form von Trainingslagern oder Messen. Ich bin im  Prinzip bei allem, was im internationalen Bereich passiert, mit dabei. Natürlich bin ich auch noch im Torwarttrainerbereich mit aktiv. Das ist sozusagen die eine Säule.   
Eine andere Säule ist meine eigene Charity, den Global United FC, die mittlerweile die größte Fußballcharity der Welt ist. Es handelt sich dabei um den sozial-nachhaltigen Klimaschutz. Wir versuchen uns dafür einzusetzen, als Fußballer mit gutem Beispiel im Bereich Klimaschutz voranzugehen und auf das Problem des Klimaschutzes hinzuweisen.
Die dritte Säule ist meine Medienarbeit. Ich bin der globale Fußballexperte für BBC World, war beim ZDF während der WM in Südafrika aktiv und werde es auch wieder 2014 in Brasilien zusammen mit Oliver Kahn sein.    
Und die vierte Säule ist die, dass ich beim DFB als Auslandsexperte mit im Boot bin. Ich bilde im Ausland hauptsächlich Torwarttrainer, aber auch andere Trainer aus. Ende September/Anfang Oktober bin ich deshalb in Burundi und gebe dort für den DFB eine Trainerausbildung.
Das sind die vier Schienen, die irgendwo auch alle ineinander verlaufen. Das macht der Herr Pfannenstiel also heute (lacht).

 

SSUT: Wir bedanken uns vielmals für das Interview und die Menge Zeit, die Sie sich genommen haben. Es war sehr interessant und es ist doch noch einmal etwas anderes, mit dem Mann hinter dem Buch persönlich zu reden. Vielen Dank!