"Die FIFA ist ein Armutszeugnis für den Fußball"

SSUT hat sich mit dem Aufsichtsratsmitglied des FC Bayern, Edmund Stoiber, unterhalten. Der ehemalige bayerische Ministerpräsident und Kanzlerkandidat von 2002 sprach über Tagespolitik im Sport, die FIFA-Krise, überflüssige Länderspiele und verriet uns, ob er lieber mit Gerhard Schröder oder Hans-Joachim Watzke zu Abend essen würde. 



Von Sebastian Koch, Markus Schulze und Tobias Reith


SSUT: Herr Ministerpräsident a.D., zunächst einmal vielen Dank für die Zeit, die Sie sich für uns nehmen. Am vergangenen Freitagabend hat die Nationalmannschaft ihre Länderspiel-Premiere gegen Gibraltar (4:0) gefeiert. Haben Sie das Spiel gesehen und welche Schlüsse kann man aus dem Spiel ziehen?

 

Dr. Edmund Stoiber (73): Ich konnte das Spiel leider nicht sehen, aber habe alles darüber gelesen. Man kann aus solchen Spielen keine großen Schlüsse ziehen, außer dass nicht alle zur Zeit verletzten oder zurückgetretenen Spieler, wie zum Beispiel Bastian Schweinsteiger oder Philipp Lahm, ohne Weiteres ersetzbar sind.

 

SSUT: Vor dem Spiel gab es von verschiedenen Experten Kritik an Qualifikationsspielen gegen Gegner der Marke Gibraltar. Der Sport1-Nachrichtenchef Ivo Hrstic schrieb gar von einer „Zumutung für Fußball-Fans in Europa“. Wie stehen Sie zu solchen Spielen, die scheinbar schon vor Anpfiff entschieden sind?

 

E.S.: Man könnte natürlich polemisch erwidern: Die Fußball-Fans könnten ja abschalten – sie tun es aber nicht. Im Gegenteil, sie sitzen millionenfach vor den Fernsehern. Persönlich neige ich aber schon zu der Sicht der Vereine, die sich fragen, ob, angesichts der körperlichen und mentalen Belastungen unserer Spitzenspieler, solche Spiele wirklich sein müssen. Und auch wenn sie in solchen Ländern, die keine Fußballmächte sind, sicher zur weiteren Popularität des Fußballs beitragen, sind sie unter sportlichen Gesichtspunkten eigentlich wertlos.

 

SSUT: Kommen wir auf die Bundesliga zu sprechen, insbesondere auf Bayern München. Pep Guardiola hat vor wenigen Tagen gesagt, dass die Bayern „noch stärker spielen als in der letzten Saison“ – wie fällt Ihre persönliche Bilanz der Bayern nach einem Drittel der Saison aus?

 

E.S.: Da gebe ich Pep absolut Recht. Die Passgenauigkeit, die extreme Ballsicherheit aller, einschließlich Manuel Neuer, und die inzwischen unglaublich variable Taktik machen die Bayern noch stärker. Nach einem Jahr Pep greifen die Automatismen noch besser. Es macht einfach Spaß, dieser Mannschaft und diesem Trainer zuzuschauen.

 

SSUT:  Beim Thema Bayern München kommt man im Moment natürlich auch nicht an Marco Reus vorbei. Mit Franck Ribéry, Mario Götze, Thomas Müller, Arjen Robben und Xherdan Shaqiri sind die Außenbahnen schon jetzt nicht gerade unterbesetzt. Warum also auch noch Reus und wie stehen die Chancen für den FC Bayern im Transfer-Poker?

 

E.S.: Konkret gibt es dazu nichts zu sagen. Außerdem sind die Vorbereitung und Durchführung von Transfers eine Angelegenheit des Vorstands. Da mische ich mich nicht ein.

In den Medien wird immer spekuliert – und allein dies löst bereits heftigste Kritik aus. Wegen der nationalen Konkurrenz wäre eine solche Verpflichtung wohl nicht notwendig. Doch das allein kann nicht der Maßstab des FC Bayern sein, den die Fans und im Grunde ganz Fußball-Deutschland erwarten. Denken Sie zum Beispiel an die Besetzung von Real Madrid!

 

SSUT: Karl-Heinz Rummenigge und Hans-Joachim Watzke verbindet im Moment – außer der Tatsache, dass beide einen Doppelvornamen haben – nicht besonders viel. Wie sehen Sie, in Ihrer Funktion als Aufsichtsratsmitglied, den Streit der beiden und wie bewerten Sie dabei die Rolle von Herrn Rummenigge?

 

E.S.: Naja, ausgelöst hat diese Scharmützel Hans-Joachim Watzke - das darf man nicht vergessen. Aber ich würde das auch nicht überbewerten. Diese Sticheleien sind natürlich Ausdruck einer gewachsenen Rivalität, die dem deutschen Fußball insgesamt gut tut und hoffentlich sportlich von den Dortmundern wieder stärker belebt werden wird. Karl-Heinz Rummenigge ist ein kantiger, selbstbewusster und offensiver Repräsentant des FC Bayern, der aber viel Respekt vor Dortmund hat.

 

SSUT: Sie haben die Möglichkeit, in einem guten Restaurant mit Gerhard Schröder oder Hans-Joachim Watzke zu Abend essen. Für wen entscheiden Sie sich?

 

E.S.: Gerhard Schröder ist natürlich immer ein spannender Gesprächspartner, mit dem schon oft dieses Vergnügen hatte. Mit Hans-Joachim Watzke habe ich dagegen noch nicht zu Abend gegessen - das wäre mal was Neues!

 

SSUT: Viel geschrieben wurde in den letzten Monaten auch über Uli Hoeneß. Zuletzt wurde sogar darüber spekuliert, dass er nach verbüßter Haftstrafe wieder auf den Präsidentenposten zurückkehren könne. Wie wird das Thema im Aufsichtsrat diskutiert, welche Rolle spielt Hoeneß im Moment im Verein und in welcher Funktion erwarten Sie Uli Hoeneß zurück?

 

E.S.: Uli Hoeneß ist und bleibt die Seele des FC Bayern, mit Amt und ohne Amt. Er büßt hart für das, was er getan hat. Was danach geschieht? Ganz nach Franz Beckenbauer: schau mer mal.

 

SSUT: Während die Bayern ganz oben stehen, steht 1860 München, bei denen Sie auch Mitglied sind, in der Zweiten Bundesliga eher am unteren Ende. Was läuft bei den Löwen schief? Schließlich hatte man sich vor der Saison selbst als Aufstiegsfavoriten auserkoren…

 

E.S.: Auch wenn ich ein leidenschaftlicher „Roter“ bin: Es sind immer tolle Zeiten, wenn die Bayern und die 60er in der Bundesliga aufeinander treffen. Deshalb bedauere ich es sehr, dass die Löwen ihren überragenden Status aus den Anfängen der Bundesliga nicht annähernd haben können. Die Gründe liegen beim Management in der Vergangenheit. Und oft hat man mit einer gewissen Lust lieber intern gestritten, als sich auf den sportlichen Erfolg zu konzentrieren. Ich kann nur hoffen, dass man die Lehren aus den Fehlern zieht und die aktuelle Führungsriege den Verein Stück für Stück wieder nach oben bringt. 



Dr. Edmund Stoiber war von Mai 1993 bis September 2007 Ministerpräsident des Freistaats Bayern und von 1999 an acht Jahre lang Vorsitzender der CSU. 2002 verpasste der Oberbayer nur knapp den Wechsel ins Bundeskanzleramt und die dortige Ablösung von Gerhard Schröder. Von 2007 bis Oktober 2014 leitete Stoiber in Brüssel außerdem ehrenamtlich die EU-Arbeitsgruppe Bürokratieabbau.

 

Der 73-Jährige ist Vorsitzender des Verwaltungsrates des FC Bayern und Aufsichtsrats-Mitglied der FC Bayern München AG.

 

 

 

SSUT: Wir müssen noch einmal auf den internationalen Fußball zu sprechen kommen, insbesondere auf die FIFA. Die hat in der letzten Wochen den Untersuchungsbericht der Ethikkommission vorgestellt, der beweisen soll, dass es bei den WM-Vergaben an Russland und Katar keine Korruption gegeben haben soll. Am selben Tag hat dann aber auch Chefermittler Garcia schwere Vorwürfe erhoben und angedeutet, dass nur ein „beschönigter“ Teil des Berichts veröffentlicht wurde. Wie glaubwürdig ist die FIFA in Ihren Augen noch und was müsste passieren, wenn sich die Vorwürfe Garcias bestätigen würden?

 

E.S.: Das einzige, was hier weiterführt, ist volle Transparenz. Fußball ist die schönste und wichtigste Sportart. Sie ist weltumspannend wie keine andere. Die Menschen lieben dieses Spiel und für viele ist es ein wesentlicher Bestandteil ihres Lebens. Im krassen Gegensatz dazu ist die Fifa-Organisation ein Armutszeugnis für den Fußball und manchmal wundere ich mich, was sich die Vereine oder nationale Verbände hier gefallen lassen. Zu Konsequenzen aus dem Untersuchungsbericht kann ich allerdings nichts sagen, solange offenbar wesentliche Teile unter Verschluss gehalten werden.

 

SSUT: Bleiben wir bei der FIFA und blicken dreieinhalb Jahre voraus – dann soll in Russland der Anpfiff der WM 2018 erfolgen. Vor dem Hintergrund des Ukraine-Konflikts wurden in den letzten Monaten von einigen Politikern sportliche Boykottforderungen laut.          

Inwieweit glauben Sie, als Politiker, dass ein sportlicher Boykott, politisch wirken kann und inwieweit könnten Sie, als Sportfan, einen sportlichen Boykott einer Großveranstaltung nachvollziehen, um dadurch politischen Druck aufzubauen bzw. politische Ziele zu verfolgen?

 

E.S.: Von einem Boykott halte ich gar nichts. Das hat schon in der Vergangenheit nie etwas gebracht. Denken wir dabei nur einmal an den Boykott der Olympischen Spiele 1980 in Moskau. Sport ist kein Politik-Ersatz und darf auch nicht als Lösung von Problemen missbraucht werden, die die Politik nicht zustande bringt.

Die entscheidende Weichenstellung ist die Vergabe von Sportereignissen. Natürlich haben die großen Sportorganisationen auch die politischen Verhältnisse bei solchen Entscheidungen zu berücksichtigen. Aber Weltmeisterschaften, die stattfinden, zu boykottieren – davon halte ich nichts.

 

SSUT: Sie fungierten bei der Weltmeisterschaft 2006 als Botschafter für Menschen mit Behinderungen – vor diesem Hintergrund: Wie empfanden Sie die WM-Vergaben nach Russland und Katar, also in Länder, die Minderheiten weitgehend diskriminieren oder sogar verfolgen?

 

E.S.: Da sage ich Ihnen ganz offen: Ich würde gerne den Maßstab anlegen, den Sie hier beschreiben. Aber dann kann ich Weltmeisterschaften nur noch in Europa, in den USA und in wenigen anderen Ländern abhalten. Nach unseren Vorstellungen, wie wir sie als Bürger der Europäischen Union haben, lebt vielleicht ein Siebtel der Menschheit. Das ist einfach so, auch wenn ich mir das anders wünsche. Deshalb sage ich noch einmal: Sport ist die schönste Nebensache der Welt, aber er kann der Politik ihre Aufgaben nicht abnehmen.

 

SSUT: Zum Schluss des Gesprächs würden wir gerne noch einmal nach Deutschland "zurückkehren". In diesen Tagen wurde „25 Jahre Wiedervereinigung“ groß gefeiert – wie hat sich die Wiedervereinigung auf den Sport in Deutschland ausgewirkt?

 

E.S.: Wir haben zwar die Medaillenzahlen nicht halten können, die sich zunächst aus der reinen Addition von BRD und DDR ergeben haben. Aber Sport war ein wichtiger Motor für das Zusammenwachsen des vereinigten Deutschlands. Das gilt für gemeinsames Sporttreiben genauso wie für gemeinsames Mitfiebern mit den Spitzensportlern bei großen Ereignissen. Außerdem sind wir im Sport aus meiner Sicht heute insgesamt breiter aufgestellt. Deshalb würde ich sagen: Sport und Wiedervereinigung – Operation weitgehend gelungen!

 

SSUT: Wie hat die Wiedervereinigung Sie ganz persönlich und vor allem politisch beeinflusst?

 

E.S.: Die Wiedervereinigung hat mich persönlich entscheidend beeinflusst. Immerhin habe ich für dieses Ziel jahrzehntelang politisch gekämpft, besonders an der Seite von Franz Josef Strauß. Die Gestaltung der Deutschen Einheit war eine riesige Herausforderung, die ich nicht zu erleben glaubte. Man darf nicht vergessen, dass es dafür ja keine Vorlage gab. Und auch wenn bei einer solchen gigantischen Aufgabe nicht alles optimal gelaufen ist, so würde ich doch sagen: Die deutsche Wiedervereinigung ist eine einzigartige Erfolgsgeschichte und eine in der Welt bewunderte Leistung. Sie bedeutet allerdings auch, dass das wiedervereinigte Deutschland heute in der Welt eine größere Verantwortung zu tragen hat. Daran müssen wir uns erst noch gewöhnen.

 

SSUT: Herr Ministerpräsident a.D., wir bedanken uns ganz herzlich für das Interview und die Zeit, die Sie sich für uns genommen haben.

 

 

 

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Kommentare: 1
  • #1

    Susanne (Donnerstag, 20 November 2014 19:16)

    Ich finde es schon richtig klasse, was für potente Gesprächspartner ihr auftut. Das ist ja eine große Wertschätzung für eure Arbeit.